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Volljurist aus Hamburg

Die Grenzen der Meinungsfreiheit im Internet – und wann rechtliche Konsequenzen drohen

Wer im Eifer des Gefechts auf Facebook oder auf anderen sozialen Kanälen seine Meinung äußert und dabei kein Blatt vor dem Mund nimmt, kann sich nicht immer auf die Kunst- oder Meinungsfreiheit berufen. Neben strafrechtlichen Ermittlungen drohen sogar häufig arbeitsrechtliche Konsequenzen wie die Kündigung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses, wie aktuelle Gerichtsentscheidungen beweisen.

 

Ganz Deutschland diskutiert seit Tagen über den Fall Böhmermann und damit einhergehend auch die Frage, wieweit die Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit gehen darf. Doch abseits dieser Debatte um den jungen Satiriker sind in jüngster Zeit einige weitere Gerichtsentscheidungen zum so genannten Äußerungsrecht ergangen, die das zulässige Feld weiter abstecken.

Es ist wohl der aktuellen Zeit und Technik geschuldet, dass immer mehr Menschen über die sozialen Kanäle, allen voran auf Facebook ihre Meinung kundtun – und sich mittlerweile auch dafür vor Gericht zu verantworten haben. Das Internet ist eben doch kein rechtsfreier Raum, wie es jahrelang immer wieder geheißen hat.

Die Gerichte betonen immer wieder die für die Gesellschaft und Demokratieenorm wichtige Bedeutung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG).  Jeder soll grundsätzlich das Recht haben, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ wie es im Grundgesetz vorgesehen ist.

Gleichwohl kann nicht jedes Wort erlaubt sein. Die Grenzen der Meinungsfreiheit finden sich unter anderem in den allgemeinen Gesetzen wieder. Verletzt die Äußerung z.B. die Rechte eines Anderen oder erfüllt sie den Tatbestand der Beleidigung (§ 185 Strafgesetzbuch (StGB)) in Form von Schmähkritik, so kann sich der Äußernde nicht mehr auf die Meinungsfreiheit berufen. Dies ist gegeben, wenn eine Diffamierung und Herabwürdigung des Gegenübers oder einer anderen Person erfolgt und es längst nicht mehr um eine Auseinandersetzung in der Sache geht.

Ferner gilt es, bei sich gegenüberstehenden Grundrechten eine Interessenabwägung vorzunehmen, wie die Praxis im Presserecht zeigt. Hier kollidiert unter anderem das öffentliche Berichterstattungsinteresse mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des „Opfers“ nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

Was ist erlaubt? Was nicht?

So entschied gestern das Landgericht Düsseldorf (LG Düsseldorf, Urt. v. 19.04.2016, Az. 6 O 226/15), dass der frühere DFB-Präsident und ehemaliges Mitglied des Exekutivkomitees der FIFA, Dr. Theo Zwanziger das umstrittene Land Katar als „Krebsgeschwür des Weltfußballs“ bezeichnen darf. Die Klage der Qatar Football Association (QFA) auf Unterlassung dieser Aussage wies das Gericht damit ab. Zwar räumte der Richter ein, dass die Bezeichnung „Krebsgeschwür“ ein so genanntes Werturteil und letztlich eine strafbare Beleidigung im Sinne von § 185 StGB sei, jedoch wegen der anhaltenden öffentlichen Debatte über die Vergabe der Fußball-WM nach Katar durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützt.

„Der Vergleich der Klägerin mit einem Krebsgeschwür übersteige (noch) nicht die Grenze der Erforderlichkeit und Angemessenheit und sei keine Schmähkritik. Es habe nicht die öffentliche Diffamierung der Qatar Football Association, sondern die Rechtmäßigkeit und Überprüfung der Vergabeentscheidung für die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar im Vordergrund gestanden.“
(Auszug aus der Pressemitteilung vom 19.04.2016; LG Düsseldorf, Urteil vom 19.04.2016, Az. 6 O 226/15)

Inwieweit ein Verband oder eine unbestimmte Personengruppe überhaupt „Opfer“ einer Beleidigung werden können, ist in der Rechtswissenschaft umstritten. Die Personengruppe muss dabei hinreichend bestimm- und überschaubar sein und auch ein Ehrgefühl entwickeln können (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2015, Az. 1 BvR 1036/14). Diskutiert wurde dies unter anderem bei einer Kollektivbeleidigung der „Cops“ und „Soldaten“. Hier hatte Theo Zwanziger den Vorteil auf seiner Seite, dass viele Politiker nachwievor eine Neuvergabe der WM fordern und die Medien über Missstände in Katar berichten. Das öffentliche Berichterstattungsinteresse überwog folgerichtig.

Aber es gibt auch andere Beispiele: Üblicherweise stellen Betroffene sodann Strafanzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft wegen der fraglichen Äußerung. Die Strafgerichte haben dann im Falle der Anklage z.B. die Beleidigungsdelikte oder den Straftatbestand der Volksverhetzung zu prüfen und müssen teilweise auch einen Blick für das Medienrecht entwickeln.

So wurde Youtube-Blogger “Julien” S. vor wenigen Wochen vom Amtsgericht Tecklenburg wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung sowie zur Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro verurteilt, nachdem er in einem Youtube-Video nicht nur die GDL mit krassen Schimpfwörtern betitelte („Mistviecher“, „Drecksbastarde“), sondern andeutete, diese sogar eigenhändig nach Ausschwitz fahren zu wollen. Ein solcher KZ-Vergleich dürfte wohl in keinem Kontext zulässig sein.

Und auch der PEGIDA-Mitgründer Lutz Bachmann ist derzeit vor dem Amtsgericht Dresden unter anderem wegen Volksverhetzung angeklagt. Er soll im September 2014 auf Facebook in mehreren Kommentaren sowie auf seiner Seite Flüchtlinge beleidigt und zum Hass gegen sie angestachelt haben. Dabei sollen seinerseits Worte wie „Dreckspack“ und „Viehzeug“ gefallen sein. Durch diese Herabwürdigung der Flüchtlinge und dem Aufruf zur Gewalt gegen diese Menschengruppe könnte der Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB erfüllt sein. Dabei wird wohl auch das gesamte Auftreten von Lutz Bachmann zu berücksichtigen sein, wie auch vorherige Strafverfahren gegen den „umstrittenen“ politischen Aktivisten. Ihm droht im Falle der Verurteilung eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.

Auch an das Arbeitsrecht denken!

In vielen Fällen sind nicht nur strafrechtliche Konsequenzen, sondern auch arbeitsrechtliche Folgen denkbar. Neben einer arbeitsrechtlichen Abmahnung steht auch die fristlose Kündigung im Raum, wenn der Arbeitnehmer durch seine – selbst im Privatleben – getätigte Äußerung das Ansehen des Unternehmens oder seiner Position im erheblichen Maße gefährdet und die weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zumutbar ist. Zu denken sind dabei an krasse Beleidigungen des Vorgesetzten oder von Mitarbeitern oder sonstige rufschädigende Handlungen.

So wurde in der Vergangenheit eine Erfurter AWO-Mitarbeiterin wegen eines fremdenfeindlichen Facebook-Postings in der Freizeit gekündigt wie auch einem 17-jährigen Azubi von Porsche, der ein Foto eines syrischen Mädchens im Regen eines Wasserwerfers mit den folgenschweren Worten kommentierte: „Flammenwerfer währe [Originalschreibweise] da die bessere Lösung„. Es dürfte klar sein, dass solche Entgleisungen nicht hinzunehmen sind. Da hilft auch die spätere Entschuldigung nur in den seltensten Fällen.

In einem anderen Rechtstreit hatte ein Lokführer der Deutschen Bahn Regio auf seinem privaten Facebook-Account ein Foto des KZ Ausschwitz mit der Bildunterschrift auf polnischer Sprache „Polen ist bereit für die Flüchtlingsaufnahme“ eingestellt. Da er in seinem Profil auch den Arbeitgeber ausdrücklich angegeben hatte, erklärte ihm die Deutsche Bahn daraufhin die ordentliche und außerordentliche Kündigung. Das Arbeitsgericht (Arbeitsgericht Mannheim, Urteil vom 19.02.2016) befand zwar beide Kündigungen in der Sache für unwirksam, stellte jedoch klar: Das KZ-Foto im Zusammenhang mit der Bildunterschrift seien „menschenverachtend“ und weder Satire noch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ferner könne sich dies zu Lasten des Arbeitgebers „ruf- und geschäftsschädigend“ auswirken. Das positive „Nachtatverhalten“ und auch die mehrjährige Angehörigkeit im Unternehmen wurden letztlich zu Gunsten des Angestellten berücksichtigt.
Die Entscheidungen machen deutlich, wieviel trotz eines kleinen Satzes im Netz auf dem Spiel stehen kann. Ein Rechtsanwalt oder Strafverteidiger sollte in jedem Fall konsultiert werden, um strafrechtliche und arbeitsrechtliche Folgen bestmöglich abzuwehren.

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Das Gedicht „Schmähkritik“ über Erdoğan – Hat sich Jan Böhmermann strafbar gemacht? Und wie weit darf die Kunstfreiheit gehen? *UPDATE*

Der deutsche Journalist und TV-Moderator Jan Böhmermann ist seit Jahren bekannt für seine provokanten Beiträge in den Medien und sozialen Netzwerken. So zeigt er sich in vermeintlich sarkastischen Youtube-Videos als Gangsta-Rapper, Aufklärer der Presse oder mischt sich mit auffälligen Aktionen in brisante Themen der Politik und Gesellschaft ein. Dafür wird er von vielen Menschen bejubelt. Diesmal könnte er aber über das Ziel deutlich hinausgeschossen sein.

In einer jüngeren Ausgabe von „Extra 3“ im NDR präsentierte der Moderator Christian Ehring eine Parodie auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Das Lied und fortgeführte Skizzen füllten tags darauf die sozialen Netzwerke. Als sich laut Medienberichten das türkische Staatsoberhaupt mit diesen Bildern in seiner Ehre verletzt sah, holte der Satiriker Böhmermann zum medialen Konter aus. In der Sendung „Neo Magazin Royale“ vom 30. März 2016 des Senders ZDF richtete sich der 35-jährige Satiriker deshalb an den türkischen Präsidenten, um ihm den Unterschied zwischen der Presse-/Meinungsfreiheit und der Schmähkritik zu erklären. Hierzu las er ein schmähliches Gedicht vor, welches nach seinen Erläuterungen den Titel „Schmähkritik“ trage und in Deutschland verboten sei. (Die Dichtung trägt unter anderem vor, dass der türkische Staatspräsident Sex mit Ziegen habe usw.).

Der „Trick“, Unerlaubtes möglicherweise durch die eigene Distanzierung und Einstufung als „verboten“ doch folgenlos auszusprechen und so in die Öffentlichkeit „erlaubt“ einzubringen, ist nicht ganz neu (Man denke an den Prozess Galileo Galilei, Dialogo i due Massimi Sistemi del Mondo, Tolemaico, e Copernicano, 1632). Diskutiert werden kann nun, ob dieser „Disclaimer“ ausreichend ist, das bewusst als verboten Dargestellte nicht strafrechtlich relevant werden zu lassen, und es sich dabei um eine geniale Einkleidung als Satire handelt, oder ob die gesamte Szene eine strafbare Schmähkritk darstellt. Immerhin gibt Böhmermann in dieser Szene mehrmals zu bedenken, dass das von ihm beispielshaft vorgelesene Gedicht nicht zulässig sei. Reicht dies bereits aus, um die gesamte Sequenz als Satire einzustufen?
Ferner stellt sich die Frage, ob die Aussage von Böhmermann in seiner Funktion als Teil der Sendung getroffen wurde oder sie ihm als Privatperson zuzurechnen ist. Letzteres wird wohl auszuschließen sein.

Die Geschichte ist damit also noch nicht zu Ende. Denn die Verantwortlichen des Senders waren offensichtlich wenig erfreut über die erneute Konfrontation mit dem türkischen Präsidenten bzw. dessen Folgen und entfernten kurzerhand den fraglichen TV-Beitrag aus der Sendung, sowie somit auch aus der ZDF Mediathek. Dies führte wiederum dazu, dass einige Medien anfänglich von einer „Zensur“ sprachen und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG)) zur Diskussion gestellt wurde. Von einer eigentlichen und vom Grundgesetz erfassten (verbotenen) Zensur im Sinne des Presserechts ( Art. 5. Abs. 1 S. 3 GG) kann indes nur dann gesprochen werden, wenn der Inhalt durch ein staatliches Eingreifen vor der Erstveröffentlichung gesperrt bzw. entfernt wird.

Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus:

„Die Verfassung verbietet nur die Vorzensur, also die Vorschaltung eines präventiven Verfahrens, vor dessen Abschluß ein Werk nicht veröffentlicht werden darf (vgl. BVerfGE 33, 52 [71 ff.]; 73, 118 [166]; 83, 130 [155])“.
(Vgl. BVerfGE 87, 209 – Tanz der Teufel)

Das ZDF ist selbst als öffentlich-rechtliche Anstalt nicht dem Staat gleichzustellen und eine Erstveröffentlichung dieser Sequenz fand im TV bereits statt. Vielmehr darf von einer internen Überarbeitung oder journalistischen „Qualitätssicherung“ der Sendung gesprochen werden, die vielleicht kritisiert, jedenfalls aber nicht für unzulässig erachtet werden darf.

Mittlerweile nimmt die Brisanz an diesem Thema zu. Gemäß einigen Medienberichten gab bereits das Auswärtige Amt ein Rechtsgutachten in Auftrag, das nunmehr die rechtliche Unzulässigkeit dieses TV-Beitrags konstatierte und darüber hinaus sogar eine mögliche Strafbarkeit vermutet. Konkret heißt es: Das von Jan Böhmermann vorgetragene Gedicht über Erdoğan erfüllt den Straftatbestand der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten nach § 103 Strafgesetzbuch (StGB). Diese Vorschrift ist lex specialis zu der allgemeinen Vorschrift der Beleidigung nach § 185 StGB und mit einer Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, unter anderen Umständen sogar bis zu fünf Jahren Haft bedroht. Auch sollen derzeit 20 Strafanzeigen gegen den Journalisten gestellt worden sein.

Möglicherweise ist dies auch der Grund, warum die Staatsanwaltschaft Mainz bereits strafrechtliche Ermittlungen gegen Jan Böhmermann aufgenommen haben soll. Ihm drohen nun juristische Konsequenzen – und wohl unabhängig davon, ob der türkische Präsident als Betroffener (Opfer) einen Strafantrag stellt oder die Staatsanwaltschaft über Umwege des Strafrechts die Ermittlungen aufnimmt. Im Falle der Beleidigungsdelikte müsste hingegen der Geschädigte (in Deutschland) einen Strafantrag stellen. Die türkische Regierung hat anscheinend schon verlauten lassen, einen Strafprozess wegen des Gedichts zu fordern, so dass die deutsche Bundesregierung nun die Staatsanwaltschaft zu den Ermittlungen ermächtigen müsste.

Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrechte des Betroffenen

Dieser umstrittene TV-Beitrag wirft abermals die Frage auf, wo die Grenzen der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) liegen und ab wann ein Presse-/Medien-Inhalt nicht mehr von diesem Schutzgut der Kunstfreiheit umfasst ist. Denn trotz des offenen Kunstbegriffs ist dieser verfassungsrechtlich verankerte Schutz nicht grenzenlos (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007, Az. 1 BvR 1783/05). Sie findet ihre Grenzen unter anderem in der strafbaren Schmähkritik.

Diese Thematik wurde vor kurzem erst im Rahmen der Verurteilung des Youtube-Bloggers “Julien” S. diskutiert. Hier verurteilte das Amtsgericht Tecklenburg den selbsternannten Youtube-Star wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung sowie Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro. Der Youtuber hatte es im vergangenen Jahr für humorvoll empfunden, in einem seiner Video-Blogs die Angehörigen der Gewerkschaft für Lokführer (GDL) nach diversen Bahn-Streiks eigenhändig in ein KZ zu schicken und zog sodann Vergleiche mit den Schreckenstaten der Nazis. Das Gericht sah die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten.

Und auch ein 28-jähriger Bochumer wurde vor wenigen Tagen vor dem Amtsgericht Bochum zu einer Geldstrafe von 2.000 Euro verurteilt wegen einer Äußerung auf Facebook gegenüber der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er hatte unter anderem gegen die Kanzlerin Hetze betrieben und gefordert, Angela Merkel „öffentlich zu steinigen. Hiermit seien gleich mehrere Straftatbestände erfüllt gewesen.

Im Falle des Gedichts über das türkische Staatsoberhaupt dürften die Juristen zu einem ähnlichen Ausgang im Zwiespalt zwischen der schützenswerten Kunst in Gestalt von Satire und den Rechten des Betroffenen gelangen. Trotz zulässiger Stilmittel der Übertreibung oder krasser Worte im klar erkennbaren Kontext der Satire wurde der rechtlich erlaubte Korridor mit Anspielungen auf (verbotene) sexuelle Vorgänge, dem Geschlechtsteil usw. deutlich verlassen. Überdies ist nicht mal ansatzweise erkennbar, inwiefern die gewählten Worte überhaupt einen gesellschaftlichen Beitrag zur Diskussion über die Person Erdoğan und dessen Funktion/Politik liefern (Hierzu ausführlicher zum nachlesen).

Vielmehr ist das Gedicht für sich genommen bereits eine strafbare Beleidigung, die in strengeren Glaubensrichtungen, in denen Familie, Ehre und Religion eine größere Rolle spielen als hierzulande, noch deutlich schwerer wiegt. Anders als bei den umstrittenen Karikaturen von „Charlie Hebdo“ ist die vorgetragene „Dichtkunst“ weder von künstlerischen, überzogenen Stilmittel geprägt noch steht sie in einem gesellschaftlichen Diskurs über den türkischen Amtsträger.

Zudem haben die jüngsten TV-Beiträge auch auf politischer Ebene für Gesprächsstoff gesorgt. So soll die Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich mit dem türkischen Regierungschef telefoniert haben, nachdem zuvor der deutsche Botschafter in Ankara eingestellt und sogar das Auslandsstudio des ZDF mit „faulen Eiern“ beworfen worden war.

In der derzeitigen Lage der Weltpolitik, während politische Abkommen mit der Türkei getroffen und gleichwohl die türkische Regierung für vermeintliche Beschränkungen der Pressefreiheit im eigenen Land kritisiert wird, sind zusätzliche Spannungen zwischen den Ländern nicht gerade förderlich. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Überlegungen, den derzeit meist diskutiertesten TV-Journalisten nun zu bestrafen und somit stückweit die Pressefreiheit in Deutschland „eingrenzen“.

Ob das ZDF in naher Zukunft die Reißleine ziehen wird und wie sich Jan Böhmermann selbst zu den drohenden juristischen Folgen äußert, steht immer noch in den Sternen. In der letzten Sendung des „Neo Magazin Royale“ vom 7.04.2016 zeigte sich Böhmermann deutlich beeindruckt von der Diskussion und beließ es bei versteckten Anspielungen. Und auch der Studio-Gast Anne Will konnte ihm keine Bemerkung zu Erdoğan und den ihm drohenden rechtlichen Konsequenzen herauskitzeln.

An diesem Wochenende hat sich sodann der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer Konzerns, Mathias Döpfer zu diesem Streit um die Pressefreiheit in einer Kolumne geäußert und klare Position auf Seiten der Kunst- und Pressefreit bezogen. So zeigt er Solidarität mit Jan Böhmermann und geht sogar noch einen Schritt weiter:

„Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht kennen. Mit Präsident Erdogan als Fachgutachter für die Grenzen satirischer Geschmacklosigkeit.“
(Mathias Döpfer, Welt am Sonntag / Offener Brief vom 10.04.2016)

Döpfer nimmt es damit nicht nur billigend in Kauf, ebenfalls juristisch für den Inhalt des fraglichen Gedichts zur Verantwortung gezogen zu werden, sondern greift in seinem Beitrag fragwürdige Gedanken (unter anderem die Religionskritik) auf. Möglicherweise strebt er auf diese Weise auch die angesprochene gerichtliche Klärung der Angelegenheit an, die von wegweisender Bedeutung für die Kunst- und Pressefreiheit sein könnte. Bislang mussten sich die Gerichte schon mit prominenten Skizzen befassen, die beispielsweise Politiker als „ein sexuell-belästigendes Schwein“ (Vgl. BVerfGE 75, 369 – Strauß-Karikatur), einen extrem langhalsigen Vorstandsvorsitzenden eines DAX-Konzerns oder einen an das Kreuz genagelten Fußballtrainer zeigten.

Das weitere Prozedere wird wohl bald auf höchster, politischer Ebene entschieden.

UPDATE 11.04.2016:

Der türkische Präsident Erdoğan hat durch seine Anwalte persönlich einen Strafantrag gestellt und beruft sich dabei unter anderem auf § 103 StGB. Auch heißt es, es seien 78 Millionen Türken durch das Gedicht beleidigt worden. Nun gilt es abzuwarten, ob die Bundesregierung die Ermächtigung erteilt, so dass die Staatsanwaltschaft die notwendigen Ermittlungen aufnehmen kann.

Indes ist auch die nächste Ausgabe des ZDF „Neo Magazin Royale“ abgesagt worden und der Moderator abgetaucht. Er stünde derzeit unter Polizeischutz, will die BILD-Zeitung wissen. Derweil sind die Anzeigen gegen Böhmermann und Verantwortliche des ZDF bei der Staatsanwaltschaft Mainz auf deutlich über 100 in der Anzahl gestiegen. Weiter heißt es, die Bundesregierung nehme sich einige Tage Zeit, um das weitere Vorgehen zu erörtern. Davon unbeirrt betonte die Kanzlerin am heutigen Tag erneut die große Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland. Und die SPD erwägt, die auch als „Schah“-Paragrafen bezeichnete Vorschrift ( § 103 StGB ) aus dem Gesetz zu streichen.

UPDATE 14.04.2016:

Während immer mehr „Comedians“ ihrem Kollegen Böhmermann zur Seite springen und Medienrechtler sowie Strafrechtler zu teils unterschiedlichen Ergebnissen in der Streitfrage kommen, veröffentlichte das ZDF ein eigens in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten über die im Raum stehende Strafbarkeit in Zusammenhang mit dem vorgelesenen „Schmähgedicht“. Darin gelangen die Juristen zu dem Ergebnis, dass die in Rede stehende Sequenz einschließlich des sogenannten Schmähgedichts rechtlich zulässig war und daher die Grenzen zur Strafbarkeit nicht überschritten worden sind“.
Weiter heißt es: Es liege „im Wesen der Satire, durch gezielte Überzeichnungen, die auch darauf angelegt sind, Emotionen und Reaktionen beim Publikum auszulösen, auf ein Thema aufmerksam zu machen und Kritik zu üben“.

Vor diesem Gedanken ist es jedoch verwunderlich, dass dieser fragwürdige Teil der Sendung weiterhin nicht in der ZDF Mediathek auffindbar ist – die Verantwortlichen der Sendung argumentieren erneut mit den Qualitätsansprüchen des ZDF. Trotz interner Kritik bleibt das Gedicht also weiterhin gelöscht.

Auch sei die Frage erlaubt: Auf welches Thema wollte die Redaktion von „Neo Magazin Royal“ denn konkret aufmerksam machen, wenn es obszöne sexuelle Praktiken bzw. das private Sexualleben des türkischen Präsidenten auf überzogene Weise darstellt? Für die Veranschaulichung von „verbotener“ Schmähkritik hätten auch die sonstigen, gesellschaftlichen Bezüge des Gedichts ausgereicht, ohne auf die Metaebene der Sexualität auszuweichen. Gleiches gilt auch der Satire.

UPDATE 15.04.2016:

Wie so eben seitens der Bundesregierung mitgeteilt wurde, lässt die Kanzlerin Angela Merkel die Ermittlungen gegen Jan Böhmermann zu, also erteilt der zuständigen Staatsanwaltschaft die Ermächtigung für die strafrechtlichen Ermittlungen. Damit entspricht sie grundsätzlich dem Wunsch des türkischen Regierungschefs.

Das Argument: Nicht die Regierung, sondern die Justiz möge die Frage der Strafbarkeit klären. „Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen“, so die deutsche Kanzlerin. Gleichwohl betonte sie während der Pressekonferenz die Bedeutung der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sowie die geltende Unschuldsvermutung in einem Rechtsstaat.

Nun ist es also Sache der Staatsanwaltschaft und sollte diese letztlich die Anklage erheben, sodann auch Sache der Justiz.

Des Weiteren fordern prominente Politiker der SPD die Abschaffung des § 103 StGB. So könnte nachträglich deine Strafe wegfallen? Dies ist jedoch nur teilweise der Fall, denn die allgemeinen Beleidigungsdelikte nach §§ 185 StGB blieben ja bestehen.

UPDATE 03.05.2016:

Nun hat sich auch der Jan Böhmermann sein Schweigen gebrochen und sich zu den Ereignissen der letzten Wochen gemeldet. Im Interview mit der ZEIT spricht er unter anderem über seine Abschottung und kritisierte die Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Äußerung kurz nach Ausstrahlung. Sie habe ihn „filetiert“ und „einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai WeiWei“ aus ihm gemacht. Die Kanzlerin hatte unter anderem gegenüber Recep Tayyip Erdoğan gesagt, das Schmähgedicht sei „bewusst verletzend“. Für viele sei sie daher vor dem türkischen Staatsoberhaupt eingeknickt und ließ später auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu.

Indes streiten die Juristen über die Forderung, den Paragrafen § 103 StGB zu streichen. Der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) beabsichtigt, die Vorschrift so schnell wie möglich, spätestens aber zum 1. Januar 2018 aus dem Gesetz zu streichen. Letzteres hätte gewiss den Vorteil, nicht einen möglichen Prozess gegen den Satiriker zu gefährden bzw. auf die Justiz Einfluss auszuüben. Trotz der über 100 Strafanzeigen dürfte dem Journalisten wegen des Gedichts nur eine Geldstrafe drohen.

So halten einige das „politische Strafrecht“ für überholt und sehen hingegen ausreichend Schutz durch die allgemeinen Vorschriften aus dem Strafrecht gegeben wie z.B. § 185 StGB und befürworten eine grundsätzliche Reform des Strafrechts und keine übereilte, politische Entscheidung in der Causa Böhmermann.

Ferner fanden in den letzten Wochen mehrere Demos und provokante Veranstaltungen statt, mit denen Kritik an dem türkischen Präsidenten und dessen Vorgehen gegen das fragliche Gedicht scharf kritisiert wurden. Auf einer Veranstaltung wurden Teile aus dem besagten Gedicht vorgetragen, ehe die Polizei schnell einschritt und dies verhinderte sowie die Veranstaltung auflöste. Die Polizei nahm wohl an, das Vorlesen der fragwürdigen Zeilen des Gedichts erfülle (erneut) den Straftatbestand und müsse daher verhindert werden. Auch kam es zu kurzfristigen Festnahmen von Rednern wie dem Vorsitzenden der Berliner Piraten-Partei, Bruno Kramm. Ähnliche Protestaktionen fanden vielerorts statt. Und auch ein provokantes Plakat nicht unweit der türkischen Bootschaft sorgte für Aufsehen.

Die nächste ZDF Neo Magazin Royale Sendung soll nach der kurzen Sendepause am 12.5.2016 ausgestrahlt werden. Böhmermann wird wohl wieder mit von der Partie sein. Wenn man seine jüngsten Aktivitäten, insbesondere auch auf twitter und Facebook beobachtet, dürfte er sich wieder sehr „angriffslustig“ geben.

Warten wir ab, wie es weiter geht.

Bildquelle: ZDF / zdf.de

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BILD – „Pranger der Schande“ nun doch unzulässig?

Das OLG München (OLG München, Urt. v. 17.03.2016, Az. 29 U 368/16) hält die BILD-Kampagne „BILD stellt die Hetzer an den Pranger“ aus dem letzten Jahr entgegen der Auffassung des LG München in erster Instanz für unzulässig. Nach Auffassung des Gerichts habe das Foto der Antragstellerin keinerlei Mehrwert. Die Veröffentlichung der Inhalte der Antragstellerin in der beanstandeten Form sei somit rechtswidrig.

Die BILD veröffentlichte Ende Oktober 2015 in der Print-Ausgabe sowie auf der Web-Präsenz die großflächige Kampagne „BILD stellt die Hetzer an den Pranger“. Gezeigt wurden 40 Personen aus den sozialen Netzwerken jeweils mit Profilfoto und persönlicher Meinungsäußerung, die sich in hetzerischer und anstößiger Weise mit der Flüchtlingskrise befasst – so wie es tagtäglich bei Facebook oder twitter zu beobachten ist. Mit dieser Berichterstattung wollte sich das schlagkräftigste Blatt des Berliner Axel Springer Verlags in die Debatte um die Hetze in den sozialen Netzwerken gegenüber politisch Verfolgten und Minderheiten einklinken und exemplarisch einige „Hetzer“ einer Strafverfolgung aussetzen. Immerhin war der Abdruck der krassen Aussagen nicht nur an die Bevölkerung, sondern auch ausdrücklich an die Staatsanwaltschaft gerichtet mit der Bitte um Einschreiten.

Eine der namentlich genannten und abgebildeten Personen hatte sich daraufhin gerichtlich – im einstweiligen Rechtsschutz – gegen die Abbildung ihres Fotos bzw. Textes gewehrt. Doch sie kassierte vor dem Landgericht München I sodann im Januar eine Niederlage (LG München I, Urt. v. 10.12.2015, Az. 7 O 20028/15). Das damalige Gericht sah die Antragstellerin nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I, 1 I GG) verletzt. Einige bekannte Medienrechtler „beschworen“ bereits zuvor die Rechtsmäßigkeit dieser Aktion der BILD trotz einiger Bedenken. Schließlich gab es eine Vielzahl an Argumenten für die Seite der Presse, jedoch auch einige Kritikpunkte.

Vor wenigen Tagen hatte nun das OLG München (OLG München, Urt. v. 17.03.2016, Az. 29 U 368/16) in der Berufung hierüber zu entscheiden und gelangte nun offensichtlich zu einem anderen Ergebnis. Demgemäß erachteten die Richter die streitgegenständliche BILD-Kampagne hinsichtlich der Veröffentlichung und Verbreitung des Profilfotos der Antragstellerin im konkreten Einzelfall für rechtswidrig. So sei sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Denn die Darstellung des Fotos der Frau sei ein intensiver Eingriff in ihre Rechte, insbesondere schaffe das Lichtbild im Kontext der Berichterstattung über ihre Meinungskundgabe auf Facebook keinen Mehrwert.

Anders (und in gebotener Vorsicht) formuliert: Der gesamte Artikel und die Wiedergabe der Aussage der Frau auf der Seite des sozialen Netzwerks wären wohl auch mit einem verpixelten Foto ausgekommen. Die Erkennbarkeit der Frau anhand des Bildes habe nur geringen – oder gar keinen? – Einfluss auf den redaktionellen Inhalt und dessen Aussagegehalt. Folglich soll das Interesse der Betroffenen überwiegen.

Wie kam es zu dem völlig anderen Ausgang?

Wie der Rechtsanwalt der Antragstellerin auf seiner Homepage mitteilte, seien die Richter in der mündlichen Verhandlung gar nicht auf die zahlreichen urheberechtlichen Vorschriften eingegangen, die möglicherweise aus urheberrechtlicher Sichtweise die Veröffentlichung und Verbreitung des Lichtbildes der Antragstellerin durch die Presse erlaube. Es wurde allein „das“ Presserecht geprüft, also die übliche einzelfallbezogene Interessenabwägung beider Parteien vorgenommen. Hierbei fließen verschiedene Umstände des konkreten Falls ein, die es zu berücksichtigen gilt.

Über die genauen Argumente und Ausführungen des Gerichts wird wohl noch in naher Zukunft zu diskutieren sein, wenn und soweit sie für die Öffentlichkeit nachzulesen sind. Gleiches gilt der Frage, ob die Berichterstattung bei Verwendung von verpixelten Bildern bei gleichzeitiger Nennung des vollständigen Klarnamens nun rechtmäßig gewesen wäre, also allein die Erkennbarkeit der Person den Ausschlag gab.

Wie geht es jetzt weiter? Eine Revision gegen diese Entscheidung ist ausgeschlossen. Die Anwälte der BILD haben aber bereits angekündigt, das Hauptsacheverfahren abzuwarten und auf eine Klärung dieser (einer Grundsatzentscheidung anmutenden) Rechtsfragen zu beharren. Es ist also davon auszugehen, dass sich der Rechtstreit noch um einige Jahre weiter hinauszögert.

Warum die Entscheidung einige interessante Rechtsfragen beinhaltet, kann in einem früheren Artikel auf dieser Seite nachgelesen werden. Aber vielleicht gibt es bald weitere Erkenntnisse.

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Amazon arbeitet am Bezahlsystem mit Gesichtserkennung – Was ist mit dem Datenschutz?

Im Bereich der “Identitätskontrolle” einer Person im Wege der Eröffnung eines Kontos können Banken dem Kunden seit einer Weile eine neue technische Lösung präsentieren: Das PostIndent-Verfahren lässt sich online mittels Webcam durchführen. Und auch die Altersverifikationssysteme (AVS) für bestimmte Internet-Inhalte bzw. -Dienstleistungen sind auf diese Weise längst etabliert. Hier besteht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Person. Wie ist es aber beim Shoppen?

Im Oktober letzten Jahres meldete mit Amazon der vermeintlich größte Online-Händler der Welt für Elektronik und Bücher laut Medienberichten ein neues Patent an, wodurch sich das US-Amerikanische Unternehmen diese neuartige Technik der Gesichtserkennung zur Identitätskontrolle beim Bestellvorgang sichert. Die Käufer könnten in naher Zukunft „live“ durch ein selbst aufgenommenes Video über die Frontkamera des Smartphones oder möglicherweise über eine Webcam die Käufe abschließen. So soll die Identität des Kunden geprüft und das sonst übliche Passwort zur Anmeldung und Bestätigung im Shop ersetzen werden. Die Medien schrieben bereits schon über dieses vereinfachte Bestellsystem mit knackigen Überschriften: „Selfie statt Passwort“ oder „Bezahlen per Selfie“.

Ganz neu ist das nicht: Die Kreditkartenfirma Mastercard will eine Technik zur Feststellung der Person durch ein Video/Foto noch in diesem Jahr einführen, wie jüngst auf dem Mobile World Congress (MWC) angekündigt wurde. Ebenso setzen bereits mehrere Banken und allen voran Telemedienanbieter auf Grundlage von Altersverifikationssysteme für „ü18-Inhalte“ im Internet vergleichbare Lösungen beim PostIdent-Verfahren mittels Webcam an. In erster Linie soll so der Abgleich mit dem Foto aus dem Personalausweis oder anderen Ausweispapiern stattfinden. Nicht zuletzt bieten auch die Smartphones mit Windows 10 oder die neueste Android-Version die Entsperrung der Geräte mittels Gesichtserkennung über die Frontkamera an.

Das von Amazon entwickelte Verfahren könnte die Sicherheit des Rechtsverkehrs (Vertragsabschluss im Internet) erhöhen. Denn viele Nutzer wählen ohnehin zu einfache Passwörter, die schnell gehackt werden können, oder gehen sorglos mit ihren Zugangsdaten um. Nachher heißt es immer: Ich war das gar nicht! Hingegen lässt sich wegen der Einzigartigkeit jedes Menschen auf Grundlage der biometrischen Daten ein in der Theorie unknackbarer virtueller Fingerabdruck erstellen.

Gefahren und Probleme der Gesichtserkennung

Doch wo viel Licht ist, ist auch überreichlich Schatten. Den positiven Aspekten dieser Technik stehen die Gesetze in Deutschland und Europa, insbesondere der Datenschutz gegenüber. Dies gilt zwar schon für eine „Webcam“-Session mit einem Unternehmen oder das Übermitteln eines Fotos zur Überprüfung der Person mit dessen zuvor hinterlegten Personalausweises, umso mehr aber bei automatischen Gesichtserkennungssystemen.

Schließlich erheben und speichern die Gesichtserkennungsprogramme die biometrischen Daten des Betroffenen, die sich aus der Gesichtsform und einer Vielzahl an individuellen, optischen Merkmalen des Menschen zusammensetzen und durch ein Computerprogramm berechnet werden. Aus dem Foto wird ein Hashwert erzeugt, der sich in allen zukünftigen anderen Bildern des Nutzers wiederfindet und somit verglichen werden kann. Diese Daten sind personenbezogene Daten nach § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und unterfallen damit dem Datenschutzrecht. Sie sind so etwas wie ein Fingerabdruck, da sie einzigartige Merkmale darstellen und in hohem Maße schutzwürdige Interessen des Einzelnen berühren. Es ist vielmehr als nur ein Foto, sondern es ist ein elektronischer Schlüssel.

Die Datenschützer warnen vor den Folgen von Gesichtserkennungsprogrammen

Wegen der hohen Bedeutung der biometrischen Daten des Einzelnen haben die Datenschutzbehörden bereits vor Jahren gegen die Gesichtserkennungsprogramme starke Einwände vorgebracht und mit hohen Anforderungen verknüpft.

Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI), Prof. Johannes Caspar hatte beispielsweise im Jahre 2012 eine Anordnung gegen Facebook erlassen bezüglich der vom sozialen Netzwerk eingeführten Software für die Gesichtserkennung. So wurde dem Unternehmen vom Gründer Mark Zuckerberg untersagt, die von den Nutzern eingestellten Fotos durch eine spezielle Software auszulesen und die biometrischen Daten des abgebildeten Mitglieds zu erheben bzw. zu speichern, um auf dessen Grundlage unter anderen weitere Fotos der Person vorzuschlagen. Facebook verzichtete (vorläufig) auf diese Technik der automatischen Gesichtserkennung seiner Mitglieder in Deutschland.

Und auf der 87. Konferenz der Datenschutzbeauftragen des Bundes und der Länder am 27. und 28. Mai 2014 in Hamburg wurde die Entschließung „Biometrische Gesichtserkennung durch Internetdienste – nur mit Wahrung des Selbstbestimmungsrechts Betroffener“ getroffen, die einige Voraussetzungen für die datenschutzrechtlich zulässige Erzeugung so genannter biometrischer Templates der Gesichter von Personen durch Internet-Dienste und dessen Anwendung aufführt.

In diesem Arbeitspapier wird eine wirksame Einwilligung des Betroffenen im Sinne von § 4a BDSG  gefordert, die aktiv und ausdrücklich erteilt werden muss. Dies setzt eine klare und verständliche Information des Benutzers über den Zweck und Risiken des Verfahrens voraus. Diese Einwilligung darf auch nicht in Nutzungsbedingungen oder Datenschutzerklärungen des Unternehmens versteckt sein. Fehlt es hieran oder werden die biometrischen Daten von Dritten gespeichert, sind diese Daten umgehend zu löschen. Eine nachträgliche (rückwirkende) Erlaubnis ändert daran nichts.

An dieser Stelle weisen die Datenschützer noch einmal auf die uns allen aus Agenten-Kinofilmen bekannten Gefahren hin:

„Die biometrische Gesichtserkennung ist eine Technik, die sich zur Ausübung von sozialer Kontrolle eignet und der damit ein hohes Missbrauchspotential immanent ist.“

Wer diesen Schlüssel (Hashwert) besitzt, könnte unter Verwendung der genannte Verfahren nicht nur Verträge im Namen anderer abschließen und somit Missbräuche begehen, sondern gegebenenfalls die Person auch in naher Zukunft überwachen.

Es ist kein Geheimnis, dass immer mehr Videokameras und Überwachungssysteme weltweit installiert und vernetzt werden und sich beim Besitz der biometrischen Daten angesichts der zunehmenden technischen Auswertungsmethoden zukünftig auch Standorte der Person im öffentlichen Raum feststellen lassen könnten. Noch klingt das nach James Bond.

Sollten Amazon, Mastercard und auch weitere Unternehmen auf das Verfahren der Gesichtserkennung zurückgreifen oder jedenfalls einmalig die biometrischen Daten des Kunden erheben und speichern für den zukünftigen Abgleich, müssten sie die geltenden Gesetze hierzulande einhalten. Nach dem deutschen Verständnis des Datenschutzes müsste sich das Unternehmen also die ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen bei gleichzeitiger Information und Aufklärung einholen und die Grundsätze der Zweckgebundenheit und der Datensparsamkeit einhalten. Ebenfalls ist auch die Sicherheit dieser Daten vor Zugriffen Dritter zu gewährleisten.

Schon die Anforderungen an die wirksame Einwilligung sollten nicht unterschätzt werden. Mit eben einem schnellen Lächeln oder Nicken während des Videos kann der Betroffene wohl kaum in die Speicherung seiner personenbezogenen Daten einwilligen. Vielmehr müsste er jedenfalls einmalig ausdrücklich (elektronisch / schriftlich) zustimmen und zuvor in angemessener Weise aufgeklärt worden sein. Das Akzeptieren von langen Nutzungsbedingungen durch ein einfaches Kontrollfeld, wohlmöglich noch auf einer fremden Sprache, dürfte folglich nicht genügen angesichts der Sensibilität dieser biometrischen Daten.

Und dann wären da noch – abgesehen vom Missbrauchspotenzial – die Gefahren und Probleme der Technik wie die Fehlerquote beim Abgleich der Templates, die Falscherkennung oder aber ein Defekt der Kamera? Wenn wegen schlechter Lichtverhältnisse oder veränderten Typus auf einmal der Abgleich misslingt, funktioniert das System nicht (mehr). Und was ist mit denjenigen, die gar kein Smartphone besitzen oder die Teilnahmen an diesen Verfahren verweigern?

Es droht der Verlust der Anonymität

Immerhin würden die Anonymität und der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterwandert werden, wenn man bei der Anmeldung eines Online-Shops oder beim Kauf eines Films oder bestimmter Ware sein Gesicht zeigen müsste. Schließlich sind an die Person und ihre Merkmale sehr viele sensible Faktoren geknüpft wie die Hautfarbe, das Geschlecht, ungefähre Alter usw. Aus diesen Erkenntnissen könnten die Unternehmen nicht nur sehr wertvolle Daten über die Kunden gewinnen und besser analysieren, sondern auch erhebliche Nachteile für die Betroffenen entstehen. Im schlimmsten Falle droht sogar die Gefahr der Diskriminierung. Mithin dürften diese biometrischen Daten und gespeicherten Fotos nicht mit anderen Angeboten wie Facebook oder Bildersuchmaschinen oder mit Werbezwecken verknüpft werden, selbst wenn es den Werbern in den Fingern juckt.

Diese Erkennungstechnik darf auf keinen Fall das einzige Kriterium sein, sondern muss immer nur eine zusätzliche Alternative zu anderen Identifikationskontrollen und herkömmlichen Zugangskontrollen bilden. Es ist daher zweifelhaft, dass dies Verfahren die Eingabe eines Passworts, PINs oder das einfache Login ersetzen wird, auch wenn Unternehmen wie Amazon ein immenses Interesse an der neuen Technologie haben dürften. Könnten sie sich unter Umständen auf diesem Wege zahlreiche zusätzliche Daten des einzelnen Kunden beschaffen und zur Steigerung der personalisierten Werbung einsetzen, wenngleich dies gegen das deutsche Datenschutzrecht verstößt. Trotz dieses Bestrebens der freien Wirtschaft hinsichtlich der Umsetzung dieser Technik, könnten die Überlegungen der Datenschützer lauten: Diese Verfahren sollten nur ganz bestimmten, öffentlichen Stellen vorbehalten sein, wie am Flughafen bei notwendigen Sicherheitskontrollen.

Doch jüngst tauchten bereits erste Informationen auf zu einem Nachfolgemodell auf. Eine neuartige technische Entwicklung führt bereits zu einer Art „Gesichtserkennung 2.0“. Hierbei sollen allein die Figur, Haarfarbe, Gestik, Bewegungen und sonstige messbare Merkmale des Menschen ausgewertet werden ohne dabei das Gesicht als solches erkennbar aufzunehmen. Ob dies datenschutzfreundlicher ist, lässt sich sicherlich diskutieren.

Der Schutz des Individuums und seiner Grundrechte darf aber unter keinen Umständen gefährdet werden, wie ein bekannter Datenschützer aus Hamburg betont:

„Die Bedrohung des Verlustes der Anonymität in der Öffentlichkeit hat Auswirkungen auf unser demokratisches Gemeinwesen.“ Dr. Moritz Karg, Referent beim HmbBfDI (Humbold Forum Recht, Ausgabe 7, 2012, S. 120ff).

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

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LG Düsseldorf: Facebook Like-Button verstößt gegen das Datenschutzrecht – drohen jetzt Abmahnungen?

Das Landgericht (LG) Düsseldorf entschied gestern im Rechtsstreit zwischen der Verbraucherzentrale NRW und der Unternehmensgruppe Peek & Cloppenburg KG, dass der so genannte Facebook Like-Button in der ursprünglichen Form auf der Firmenseite des Modehändlers gegen das Datenschutzrecht verstoße (LG Düsseldorf, Urteil vom 09.03.2016, Az. 12 O 151/15). Das Gericht gab somit der Verbraucherzentrale Recht, die die Einbindung des Facebook Like-Button auf mehreren bekannten Webseiten gerügt hatte. Das Hauptargument: Facebook wertet bereits beim Aufruf der Seite durch den Nutzer erhebliche Daten aus, selbst wenn dieser gar nicht auf dem sozialen Netzwerk angemeldet ist.

Der Facebook Like-Button („Gefällt-mir“ Button) ist den deutschen Datenschützern schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Ist dieser doch auf gefühlt 90 Prozent aller deutschsprachigen Webseiten integriert, um die Nutzer zu animieren, sich auf Facebook mit dem jeweiligen Unternehmen zu verknüpfen. Der Like-Button kann durch die manuelle Integration des Code-Schnipsels im Quellcode der Seite oder bei z.B. WordPress durch zahlreiche social plugins sehr einfach integriert werden und ist für die meisten Seitenbetreiber (und Social Media Abteilungen) längst ein „must have“. Doch trotz der einfachen Bedienung weiß niemand so recht, welche Analyseprogramme im Hintergrund des Browsers zwischengeschaltet sind, die ihre Ergebnisse auf die Server und Facebook-Server ablegen. Ob nun in anonymisierter Form oder nicht: Es werden möglicherweise etliche Nutzerdaten wie beispielsweise die IP-Adresse und Datum des Seitenbesuchs – nach hiesiger Auffassung – als personenbezogene Daten im Sinne von § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) auf die Server in die USA übermittelt, dort gesammelt und unter Umständen mit anderen Daten zusammengeführt werden . Im „worst case“ entsteht auf diese Weise eine lange Liste, auf welchen Seiten der Facebook-Nutzer X oder auch das Nichtmitglied Y zum Zeitpunkt Z unterwegs war und was angeklickt worden ist. Über weitere Meta-Daten und Speicherdauer, Umfang usw. kann nur spekuliert werden. Wird die Seite über das Smartphone aufgerufen, könnten theoretisch sogar noch Standortdaten übermittelt werden. Damit hinterlässt der User ein Zustandstripel aus Gegenstand, Ort und Zeit. Wie viel Aussagekraft und Geldwert dieses Datensammelsurium hat, kann sich jeder an den Umsätzen von facebook ansehen.

Aus diesem Grund ging die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ) schon im Frühjahr 2015 dagegen vor und mahnte mehrere Unternehmen ab, die den Like-Button auf Ihren Webseiten integriert hatten. Von den insgesamt 6 abgemahnten Unternehmen hatten vier bereits eine Unterlassungserklärung abgegeben und die Funktion entfernt. Gegen die Unternehmensgruppe Peek & Cloppenburg KG und das Unternehmen Payback erhob die VZ sodann später die Klage wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht nach dem UWG.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es von entscheidender Bedeutung, inwieweit der Seitenbetreiber seine Seitenbesucher über die datenschutzrechtlich bedenkliche Übermittlung von personenbezogenen Daten an Server von Facebook in die USA und dazwischen befindliche Schnittstellen aufklärt und ob sie in diesem technischen Vorgang im Hintergrund der Webseite ausdrücklich einwilligen – aber auch diesem widersprechen können. Hieran fehlt es in der Regel, wenn der Facebook Like-Button in der ursprünglichen Form bereits beim Seitenaufruf aktiviert ist und keinerlei (optisch auffälliger) Hinweis auf die Datenverarbeitung erfolgt.

Deshalb entwickelten bereits einige Programmierer vermeintlich datenschutzkonforme Like-Buttons und Social Plugins, bei welchen analog des „Double Opt-in“ das zweimalige „aufklappen“ bzw. bestätigen erforderlich ist, ehe die Funktion der verlinkten sozialen Netzwerke aktiviert wird. Allerdings fehlt auch hierbei die vorherige Aufklärung des Nutzers über Umfang und Zweck der Datenübermittlung. Diese „Zwei-Klick“-Variante stand zwar in diesem Rechtstreit nicht zur Diskussion, könnte aber zukünftig die Gerichte abermals beschäftigen.

Das LG Düsseldorf (Urteil vom 09.03.2016, Az. 12 O 151/15) folgte in seinem Urteil grundsätzlich der Ansicht der Verbraucherzentrale NRW. Das Gericht sah den Datenschutzverstoß durch die Nutzung des Facebook Like-Button in der beanstandeten Art und auch die damit einhergehende Übermittlung der Daten des Nutzers an Server in die USA ohne die informierte und ausdrückliche Einwilligung des Nutzers als begründet an.

Die vom Gericht vorgenommene Prüfung der Rechtslage erfolgt angesichts der Vorgehens der Verbraucherzentrale auf Grundlage des Wettbewerbsrecht. So sei die Einbindung unlauter im Sinne von § 3a UWG  i.V.m. § 13 TMG , da der Seitenbetreiber hiermit den datenschutzrechtlichen Vorschriften zuwiderhandele und der Verstoß auch geeignet sei, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen. Ein Rechtsverstoß gegen § 12, 13 TMG wurde bejaht. Zudem sei auch der Gefällt-mir Button nicht unabdingbar für den Betrieb einer Seite. Ferner soll ein Hinweis diesbezüglich in den Datenschutzbedingungen auch nicht ausreichen.

Welche Folgen könnte diese Entscheidung haben?

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Und auf die Entscheidung im Rechtsstreit in gleicher Sache gegen Payback vor dem LG München ist noch zu warten. Es kann somit nur darüber spekuliert werden, ob diese Entscheidung rechtskräftig wird und welche Folgen daraus entstehen. Die VZ begrüßte und feierte das Urteil hingegen bereits jetzt schon als Sieg des Verbrauchers:

„[..] Mit dem heutigen Urteil des LG Düsseldorf hat die Verbraucherzentrale NRW nun eine Stärkung der Datenschutzrechte von Verbrauchern in puncto Facebook-Like-Button erreicht. „Der Praxis von Facebook, Daten ohne Wissen und Einwilligung der Nutzer abzugreifen, wird nun ein Riegel vorgeschoben“, bringt Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW die Bedeutung des Landgerichturteils für den Verbraucherschutz auf den Punkt.[..]“ (Pressemitteilung VZ vom 09.03.2016)

Es wäre denkbar, dass zukünftig zahlreiche weitere Unternehmen durch die VZ oder andere abmahnfähige Verbände abgemahnt werden mit dem Hinweis auf dieses Urteil! Grundsätzlich steht es nach dem UWG sogar jedem Mitbewerber zu, Ansprüche nach § 8 ff UWG bei unlauteren geschäftlichen Handlungen eines Konkurrenten geltend zu machen. Fraglich ist, ob der Verstoß gegen das Datenschutzrecht auch als ein Wettbewerbsverstoß zu qualifizieren ist.

Um sich vor Abmahnungen und teuren Rechtsstreitigkeiten zu schützen, könnte die Facebook „Gefällt-mir“ Schaltfläche schneller aus dem Netz wieder verschwinden als gedacht oder möglicherweise durch die 2-Klick-Lösung ersetzt werden, über welche dann die Gerichte zu befinden haben werden. Auch müsste wohl der rechtliche Hinweis bezüglich des Datenschutzes bei den social plugins deutlich auffälliger und erkennbarer gestaltet werden, wie auch immer dies aussehen wird. Die Entscheidung kann sich also in einem nächsten Schritt auch auf ähnliche Funktionen bei twitter, xing und anderen Social Media Diensten auswirken. Bekannte Rechtsanwälte aus dem Medienrecht raten bereits zum Einsatz der 2-Klick-Variante. Die Rechtsanwälte dürften sich vielleicht über diese zusätzliche Arbeit freuen. Wer auf der sicheren Seite sein will, sollte also derartige Like/Share Schaltflächen gänzlich von seiner Webseite verbannen.

Ungeachtet dessen ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit diesem Fall noch zu beschäftigen haben wird (wenn es also in die nächste Instanz geht). Zu viele grundlegende Rechtsfragen sind von dieser Thematik tangiert. So ist es immer noch umstritten, ob die IP-Adresse als ein personenbezogenes Datum nach dem BDSG gilt und wie eine datenschutzrechtskonforme Einwilligung des Nutzers in die Übermittlung und Auswertung seiner personenbezogenen Daten durch die sozialen Netzwerke auszusehen hat. Zumal im Datenschutzrecht bekanntlich derzeit viel im Wandel ist.

Offen ist derzeit auch, inwieweit sich die Datenschutzbehörden der Thematik erneut öffentlich und nachdrücklich annehmen, die ihrerseits schon im Jahre 2011 rechtliche Bedenken geäußert haben.

“[..]In Deutschland ansässige Unternehmen, die durch das Einbinden von Social Plugins eines Netzwerkes auf sich aufmerksam machen wollen oder sich mit Fanpages in einem Netzwerk präsentieren, haben eine eigene Verantwortung hinsichtlich der Daten von Nutzerinnen und Nutzern ihres Angebots. Es müssen zuvor Erklärungen eingeholt werden, die eine Verarbeitung von Daten ihrer Nutzerinnen und Nutzer durch den Betreiber des sozialen Netzwerkes rechtfertigen können. Die Erklärungen sind nur dann rechtswirksam, wenn verlässliche Informationen über die dem Netzwerkbetreiber zur Verfügung gestellten Daten und den Zweck der Erhebung der Daten durch den Netzwerkbetreiber gegeben werden können.[..]“ (Vgl. Entschließung des Düsseldorfer Kreises vom 8. Dezember 2011)

In Betracht käme die Anordnung eines Bußgeldverfahren nach § 43 BDSG für die verantwortliche Stelle.

Viel ist in dieser Zeit nicht passiert, obgleich das Unternehmen Facebook eigentlich an einer rechtskonformen Einsatzmöglichkeit der wohl wichtigsten, externen Funktion seines Netzwerks interessiert sein dürfte. Insgesamt könnte durch diese Entscheidung des LG Düsseldorf nun wieder Bewegung in die Sache kommen, drohen doch eine offensichtliche Rechtsunsicherheit und Abmahn-Gefahr für unzählige Seitenbetreibern hierzulande. Zumal das Entfernen dieser social plugins zum Verlust eines bedeutenden Marketinginstruments im Internet führt.

Facebook dürfte diese Gerichtsentscheidung mit: Gefällt mir nicht – bewerten.

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Buchrezension: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, Bundesdatenschutzgesetz, Kompaktkommentar zum BDSG, 5. Auflage, 2016

Das Arbeiten mit kommentierten Gesetzestexten zählt bekanntlich zum unabdingbaren Handwerkszeug eines jeden Juristen. Umso wichtiger ist es, dass der „Kommentar“ möglichst die aktuellsten Entwicklungen der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Meinungen aus der rechtswissenschaftlichen Literatur abbildet. Dank der freundlichen Unterstützung vom Bund-Verlag hatte ich die Möglichkeit, den derzeit aktuellsten Gesetzeskommentar zum Datenschutzrecht (Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, Bundesdatenschutzgesetz, Kompaktkommentar zum BDSG, 5. Auflage, 2016) unter die Lupe zu nehmen.

Das Datenschutzrecht befindet sich zurzeit massiv im Wandel. Nicht nur die bahnbrechende Entscheidung des EuGH zu „Safe Harbor“ und die anschließenden Folgen der (Un)Sicherheit der nationalen und europaweiten Datenschutzbehörden, sondern auch die bevorstehende EU-Datenschutzgrundverordnung stellen vor allem die Datenschützer und Datenschutzbeauftragten vor neue Herausforderungen bei der tagtäglichen Arbeit. Und auch der Arbeitnehmerdatenschutz findet immer mehr Beachtung, insbesondere wegen der zunehmenden Fülle an Rechtsfragen hinsichtlich der Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten sowie auch deren Verhalten am Arbeitsplatz, aber auch dessen Auswahl als Bewerber oder potentieller Job-Kandidat. Ebenso gilt es die kaum aufzuhaltende technische Entwicklung, die sich einst vom Computer und Internet bis mittlerweile in die privaten Wohnzimmer und auf den Straßen- und Luftverkehr erstreckt, datenschutzrechtlich einzuordnen und möglichst auch einzugrenzen. Wegen der technischen Weiterentwicklung der Gesellschaft ist ein interessengerechtes Datenschutzziel zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund veröffentlichte der Bund-Verlag in der vergangenen Woche die mittlerweile 5. Auflage des Kompaktkommentars zum Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), die maßgeblich von den vier namenhaften Autoren verfasst wurde:

Dr. Wolfgang Däubler, Professor für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen
Dr. Thomas Klebe, Leiter des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht Frankfurt/M., Rechtsanwalt in der Kanzlei Apitzsch/Schmidt/Klebe, ehrenamtlicher Richter am BAG, langjähriger Justiziar der IG Metall
Dr. Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences sowie wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Datenschutz, Arbeitsrecht und Technologieberatung in Eppstein
Dr. Thilo Weichert, M.A. pol., von 2004 bis Juli 2015 Landesbeauftragter für Datenschutz Schleswig-Holstein und damit Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD), Kiel
(Quelle: Bund-Verlag)

Der Aufbau: Kompaktkommentar zum BDSG

Bereits der Buchdeckel und das anschließende Vorwort weisen darauf hin, dass dieses Werk den Stand Anfang Oktober 2015 beinhalten soll und auch die EuGH-Entscheidung zu „Safe Harbor“ vom 6. Oktober 2015 umfassend gewürdigt wurde. Insgesamt sind die Gesetzgebung, Rechtsprechung und rechtswissenschaftliche Literatur bis zum Zeitpunkt Ende 2015 berücksichtigt.

Nach dem aktualisierten Vorwort und Inhalts-, Abkürzungs- und Literaturverzeichnis befindet sich der abgedruckte Gesetzestext zum Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in diesem Buch. Anschließend folgt eine rund 45-seitige und vom ehemaligen Leiter des ULD, Dr. Thilo Weichert verfasste Einleitung (S. 77 – 116), in welcher die historische Entwicklung des BDSG hin zu brandaktuellen Themen und darüber hinaus ein erster Ausblick auf die erwartete EU-Datenschutzgrundverordnung aufgezeigt werden.

Hieran schließt die umfassende Kommentierung jeder einzelnen Vorschrift aus dem BDSG in gewohnter Breite an. In ihrer Kommentierung versuchten die Autoren auf übersichtliche Weise die Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur einfließen zu lassen, ohne jedoch bei diesem Kompaktkommentar den Blick auf das praxisnahe Wesentliche zu verlieren. Dabei ist die Nähe zu technischen Systemen / Prozessen ebenso wie praxisnahe und wertende Erläuterungen keine Seltenheit. Trotz vieler technischer Begrifflichkeiten ist der kommentierte Teil des Werks durchweg verständlich und prägnant verfasst.

An verschiedenen Stellen wurden brandaktuelle Fragestellungen eingearbeitet, die zu Abweichungen von vorherigen Auflagen führen. So wird beispielsweise unterhalb der Vorschrift aus § 4b BDSG über mehrere Seiten die genannte EuGH-Entscheidung („Safe Harbor“) (S. 190 – 195) und die darin entwickelten Kriterien für die zukünftige Überprüfung eines angemessenen und mit dem Unionsrecht vereinbaren Schutzlevels des Drittstaates diskutiert wie auch mit einem kritischen Auge gewürdigt.

Innerhalb der Kommentierung zu § 6b BDSG werden der Einsatz von Drohnen, Wildkameras und Dashcams, der unter Umständen einen unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen darstellt, sowie sonstige Überwachungssysteme im öffentlichen Raum besprochen. Zudem lässt sich die Problematik beim Cloud Computing und anderen technischen Lösungen wie „Bring your own device“ (BYOD) aus datenschutzrechtlicher Sicht an unterschiedlichen Stellen, beispielsweise in der Kommentierung zu § 4b und § 9 BDSG nachlesen. Gleiches gilt für die technischen Anforderungen an die Datensicherheit und erforderliche Kontrollsysteme.

Und auch die immer wiederkehrenden Fragen rund um den Datenschutz in den sozialen Netzwerken wie z.B. bei Facebook werden unterhalb verschiedener Normen besprochen, beispielsweise in der Kommentierung zu §§ 13, 28, 32 (Beschäftigungsverhältnis) BDSG und in grundsätzlicher Hinsicht bezüglich den Anforderungen an die Einwilligung des Einzelnen unter § 4a BDSG.

Ferner bemessen die Autoren in diesem BDSG-Kommentar dem Arbeitnehmerdatenschutz einen hohen Wert bei, der angesichts der jüngeren Entwicklung in der Rechtsprechung und trotz des ausgebliebenen Handelns des Gesetzgebers zum so genannten „Beschäftigtendatenschutz“ immer wieder in unterschiedlichen Fallkonstellationen eine signifikante Rolle spielt. Dies spiegelt sich auch in der ausführlichen Kommentierung von § 32 BDSG wider (S. 595 – 657). Zu denken ist dabei an die Überwachung des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz, praxistaugliche Verhaltensvorschriften für die Mitarbeiter (Surfen am Arbeitsplatz?) sowie grundsätzlich an die rechtskonforme Datenverarbeitung der personenbezogenen Daten des Beschäftigten oder Bewerbers (Bewerberdaten). Hierzu finden sich zahlreiche Ausführungen und Bewertungen der jeweiligen Autoren unter den einschlägigen Vorschriften, insbesondere in § 32 BDSG.

Weitere, sich in der heutigen Zeit aufdrängende technische Aspekte wie die Einstufung von GEO-Daten, Bewegungsprofilen, GPS Ortung oder Video-Überwachung wurden punktuell kommentiert (z.B. in §§ 3, 6b, 29, 32 BDSG).

Nach dem Abschnitt der Gesetzeskommentierung werden verschiedene themenrelevante Gesetze, Vorschriften und europäische Entscheidungen als Anhang aufgeführt, die der „Datenschutzrechtler“ ab und zu nachschlägt. Den Abschluss des Werks bildet ein gut strukturiertes und umfassendes Stichwortverzeichnis.

Alles in allem bleibt der Kompaktkommentar trotz oder gerade wegen des Umfangs von 976 Seiten handlich und ist wegen der gewählten Schriftgröße und dem Layout leserlich und übersichtlich. Für das tägliche Arbeiten in diesem Rechtsgebiet bietet der BDSG-Kommentar ausreichend Fundstellen und Informationen.

Fazit

Die Rückseite des BDSG Kompaktkommentars
Die Rückseite des BDSG Kompaktkommentars

Der Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, Kompaktkommentar zum BDSG, 5. Auflage 2016 stellt ein übersichtliches Werk dar, welches derzeit nahezu das Aktuellste zum Datenschutzrecht abdeckt. Dabei gelingt es den Autoren, einen guten Überblick über den aktuellen Stand der Rechtsprechung zum Datenschutz mit vielen praxisnahen Bezügen zur technischen und rechtlichen Entwicklung zu leisten und einen Großteil aller gegenwärtiger Fragestellungen im Datenschutzrecht einzuarbeiten. Viele Themen sind aus Sicht des Arbeitnehmers oder Betroffenen dargestellt, weswegen das Werk grundsätzlich nicht nur für jeden Juristen, sondern auch für den interessierten „Laien“ als Hilfestellung dienen dürfte. Zahlreiche Zusatzinformationen für den Leser runden den Kommentar ab.

Wegen der zeitlichen Dauer des Überarbeitungsprozesses konnte leider die bedeutende Entwicklung zum Jahresbeginn 2016 wie z.B. zum „EU US Privacy Shield“ nicht mehr in die Kommentierung einfließen, aber mit diesem Los hat nun mal jedes Print-Werk zu kämpfen. Einen optimalen Zeitpunkt der Überarbeitung bzw. Veröffentlichung wird es wohl im Datenschutzrecht in der nächsten Zeit nicht geben. Es ist einfach derzeit zu viel im europäischen Fluss. Ungeachtet dessen geben die Autoren an vielen Stellen einen kleinen Ausblick auf die großen Neuerungen in dem kommenden Jahr, die mit der bevorstehenden EU-Datenschutzgrundverordnung einhergehen.

Alle Daten im Überblick

Wolfgang Däubler, Thomas Klebe, Peter Wedde, Thilo Weichert, Bundesdatenschutzgesetz, Kompaktkommentar zum BDSG
2016, 976 Seiten, gebunden, 5. Aufl.
ISBN: 978-3-7663-6446-3
Verlag: Bund-Verlag

Weitere Informationen zu diesem Werk, das Inhaltsverzeichnis sowie eine Leseprobe finden sich auf der Seite des Bund Verlags, auf welcher der Kommentar auch käuflich zu erwerben ist.

 

Hinweis: Der Kompaktkommentar wurde mir dank der freundlichen Unterstützung des Bund-Verlags für die Rezension zur Verfügung gestellt.

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Aktuelles zum Datenschutz: Von „EU US Privacy Shield“, Klarnamenpflicht bei Facebook und der Vorabentscheidung des EuGH zu Facebook-Fanpages *UPDATE*

Im Bereich des Datenschutzes ist in den letzten Tagen viel in Europa passiert, auch wenn noch viel in der Diskussion steht. Grund genug für einen kurzen Überblick über aktuelle Themen und Verfahren zum nationalen und internationalen Datenschutz und einen kleinen vorläufigen Ausblick.

1. EU US Privacy Shield

Am 2. Februar konnten sich die EU-Kommission und Vertreter der USA grundsätzlich auf das „EU-US Datenschutzschild“ („EU-US Privacy Shield“) einigen, wie der estnische Vizepräsident der Europäischen Kommission, Andrus Ansip und die tschechische Justizkommissarin Vera Jourava per Pressemitteilung verlautbaren ließen.

Die auf großen politischen Druck hin schnell gestrickte Vereinbarung soll als Nachfolger von „Safe Harbor“ dienen und die nach der wegweisenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entstandene Rechtslücke für den Datenaustausch von personenbezogenen Daten zwischen Europa und den USA mehr oder weniger wirksam schließen.

Denn der EuGH hatte bekanntlich Anfang Oktober 2015 mit einem spektakulären Urteil das einige Jahre lang geltende Safe-Harbor Abkommen zwischen Europa und den USA für unzulässig erklärt. Dies galt unter anderem als Rechtsgrundlage für die Übermittlung von personenbezogenen Daten aus Europa in die USA und stufte diese als mit dem deutschen/europäischen Datenschutz-Level im Einklang stehenden „sicheren Hafen“ ein. Daneben existieren für die in Deutschland ansässigen Unternehmen unter anderem noch die „EU-Standardvertragsklausel“ und die deutlich strengeren Regelungen aus dem deutschen Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), wenn sie solche Datenverarbeitungsprozesse vornehmen oder vornehmen lassen.

Der EuGH in Luxemburg
Der EuGH in Luxemburg

Mit diesem Paukenschlag versetzte der EuGH nicht nur hierzulande die Datenschutzbehörden in Alarmbereitschaft, sondern vielmehr auch alle in Deutschland agierenden Unternehmen, die auf Grundlage von technischen Vorgängen wie dem (internen) E-Mail-Verkehr, Mitarbeiter-Intranet oder mittels ihren Webseiten bzw. Servern personenbezogene Daten in die USA transportieren. Theoretisch betrifft dies quasi jedes zweite oder dritte Unternehmen, das auf Web-Server oder Mail-Server aus den USA zugreift oder spezielle Dienste auf Ihren Webseiten integriert hat, die einen Datentransfer in die USA vorsehen (z.B. auch Analyse-Tools, Skripte oder Sicherheits-Tools für die Webseite).

Trotz der grundlegenden Einigung über das neue „EU-US Privacy Shield“-Abkommen, das vorläufig nur im stillen Kämmerchen der EU-Gebäude geschmiedet wurde, fehlt es bislang an verbindlichem und aussagekräftigem Info-Material (und dem genauen Wortlaut der Regelung). Zwar konnten schon einige Datenschützer eine erste Einschätzung vornehmen, doch im Grunde tappen wir alle noch im dunklen.

Die „Angemessenheitsentscheidung“ wird derzeit von der Europäischen Kommission vorbereitet, wonach „festgelegt wird, dass ein Drittland aufgrund seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der von ihm eingegangenen internationalen Verpflichtungen ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet.“ (Quelle: European Data Protection Supervisor). Und auch die nationalen Mitgliedsstaaten sowie der europäische „Zusammenschluss“ der jeweiligen nationalen Datenschutzbehörden als „Art. 29 Gruppe“ sind noch zu beteiligen, ehe das Abkommen dann rechtswirksam umgesetzt werden kann.

Einige Datenschützer haben sogar schon angedeutet, dass wohl auch dieses Abkommen die Bedenken am Schutzlevel der betroffenen Daten in den USA, insbesondere auch dem Schutz vor Zugriffen von US-amerikanischen Geheimdiensten und Organisationen auf die personenbezogenen Daten von Europäern nicht vollends aus der Welt schaffe und keine gefestigte Rechtsgrundlage für den Datentransfer liefere. Es wird sich sehr bald zeigen, wie die Europäische Kommission dies sieht.

Sehr gute und aktuelle Analysen zu diesem datenschutzrechtlichen Abkommen lassen sich im eigens zu diesem Thema ins Leben gerufenen Blog ( www.euusprivacyshield.de) von dem Datenschutzexperten Dr. Carlo Piltz nachlesen.

UPDATE 05.03.2016

In den vergangenen Tagen veröffentlichte die Europäische Kommission den ersten Entwurf der Angemessenheitsentscheidung. Nun darf darüber diskutiert werden, ob diese Entwurf den Anforderungen des EuGH gerecht werden. Eine erste Analyse findet sich im genannten Blog von Rechtsanwalt Dr. Carlo Piltz. Seiner Ansicht nach blieben derzeit noch einige Fragezeichen im Raum.

 

2. Der HmbBfDI leitet erste Verfahren ein

Wie der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) Prof. Johannes Caspar vor wenigen Tagen gegenüber dem Handelsblatt mitteilte, habe die Hamburger Datenschutzbehörde bereits erste Bußgeldverfahren gegen mehrere in Hamburger ansässige Unternehmen wegen der Datenschutzverstöße in der Post-Safe-Harbor Ära eingeleitet.

Diese Unternehmen seien Töchterunternehmen von Firmen aus den USA und würden nach Auffassung des Hamburgischen Datenschützers personenbezogene Daten derzeit ohne rechtliche Grundlage in die USA übermitteln. Und dies trotz mehrerer offiziellen Hilfestellungen und der großen Ankündigung der Behörde im vergangenen Jahr, die fraglichen Unternehmen zu Beginn des Jahres unter die Lupe zu nehmen bezüglich ihres Datenaustausches mit Mutterkonzernen in den USA.

Im Raum steht ein Bußgeld von bis zu 300.000 Euro bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Handeln (§ 43 BDSG) gegen die Vorschriften aus dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Jedoch wolle man erst einmal die betroffenen Unternehmen anhören und gegebenenfalls danach ein Bußgeldbescheid erlassen.

Es bleibt also abzuwarten, inwiefern die deutschen Aufsichtsbehörden ernst machen und solche Bußgeldverfahren einleiten bzw. Bußgelder verhängen. Oder ob das neue Datenschutz-Abkommen zwischen Europa und den USA dann als wirksame Rechtsgrundlage Anerkennung findet.

 

3. Der Streit um die Klarnamenpflicht bei Facebook

Und noch einmal Hamburg: Im Verwaltungsverfahren wegen des Streits zwischen der Hamburger Datenschutzbehörde und Facebook um die so genannte Klarnamenpflicht im größten sozialen Netzwerk der Welt herrscht seit Monaten Stillstand. Wenig Neues gibt es zu dem am Verwaltungsgericht Hamburg seit einem halben Jahr anhängigen Verfahren, wie auch die Behörde im jüngst veröffentlichten Tätigkeitsbericht konstatiert.

Prof. Johannes Caspar wird indes nicht müde auf die derzeitige Rechtslage in Deutschland zu verweisen, an die sich auch Facebook zu halten habe. So sagte er am gestrigen Tage, während der Facebook-Chef Mark Zuckerberg seinen Besuch in Berlin fortsetzte und medienwirksam morgens bei Schnee und Regen durch das Brandenburger Tor joggte: „Facebook sammelt zu viele Daten, verfolgt seine Nutzer und besteht auf deren Klarnamen, auch wenn es gegen das Gesetz ist.“

Schließlich ist im deutschen Recht in § 13 Abs. 6 Telemediengesetz (TMG) auch die anonymisierte Nutzung eines Telemedienangebots ausdrücklich verankert, die das Interesse des Einzelnen zum Schutz der Privatsphäre bei seinen Internet-Aktivitäten verfolgt. Niemand soll gezwungen sein, im Internet oder in Foren mit seinem Klarnamen zu diskutieren – und erst Recht nicht sich durch amtliche Ausweispapiere bei einer Anmeldung zu legitimieren.

Vor diesem Hintergrund hatte der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit wegen dieses Verstoßes gegen das Telemediengesetz und das Personalausweisgesetz am 28.07.2015 eine Anordnung gegen die Facebook Ireland Ltd. erlassen (Siehe Pressemitteilung), gegen die sich das Unternehmen gerichtlich wehrt.

Alerdings ist in der bevorstehenden EU-Datenschutzgrundverordnung eine solche Regelung zur anonymen Nutzung von Telemedien zum Leidwesen vieler Datenschützer jedenfalls nicht ausdrücklich erwähnt. Insofern könnte sich dieses Bestreben und folglich das gesamte Verfahren in spätestens einem Jahr nach dem derzeitigen Stand der Dinge von selber erledigt haben.

Zudem argumentieren die Rechtsanwälte von Facebook, die Klarnamenpflicht diene auch der Gewährleistung der Rechtsverfolgung. Ihr Motto könnte daher lauten: Wer das social network unter seinem echten Namen nutzt, betreibt (wohl) seltener Unfug in diesem und kann bei Rechtsverstößen oder Straftaten effektiver zur Verantwortung gezogen werden. Dass dieses Argument nur bedingt greift, beweisen die zahlreichen derzeit diskutierten Fälle der Facebook-Hetze, wo sich unzählige Bürger auch unter ihrem Klarnamen und mit klar erkennbaren Profilfoto an den Diskussionen bis hin zur strafbaren Volksverhetzung beteiligen. Also eine Klarnamenpflicht würde demgemäß wohl nicht zu einem stilvollen und rechtstreuen Umgang auf Facebook führen.

UPDATE 05.03.2016

Ende der Woche berichteten diverse Medien von einem „Sieg“ von Facebook im Verwaltungsrechtstreit zwischen dem HmbBfDI und der Facebook Ireland Ltd. Diese Schlagzeilen sind eigentlich falsch, denn das Unternehmen konnte lediglich im einstweiligen Rechtsschutz vor dem VG Hamburg (Beschl. v. 03.03.2016, Az. 15 E 4482/15) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Anordnung der Behörde wiederherstellen lassen – die Anordnung kann daher zunächst nicht vollzogen werden.

Das Gericht argumentierte: Das deutsche Recht sei gar nicht anwendbar, sondern vielmehr das Recht des EU-Landes, mit dem die streitgegenständliche „Datenverarbeitung am engsten verbunden sei“. Dies sei hier wegen des Sitzes der Facebook Ireland Ltd. in Dublin das irische Gesetz. Eine tiefgehende materielle Prüfung der eigentlichen Frage, namentlich: Inwieweit Facebook die anonyme Nutzung nach der deutschen Rechtslage (TMG) zu gewährleisten hat, wurde somit gekonnt umschifft.

Auf der Seite der Hamburger Datenschutzbehörde findet sich hierzu bereits eine lesenswerte Pressemitteilung mit Hinweisen auf – möglicherweise – anderslautende Entscheidungen hinsichtlich der Prüfung des anzuwendenden Rechts für grenzüberschreitende Fallkonstellationen. Die Behörde geht daher weiterhin von der Rechtmäßigkeit der Anordnung aus.

„Die Auffassung, wonach das Recht desjenigen Mitgliedstaats der EU anzuwenden ist, in dem sich diejenige Niederlassung befindet, mit deren Tätigkeit die streitige Datenverarbeitung am engsten verbunden ist, vermag nicht zu überzeugen. Das Ziel der EU-Datenschutzrichtlinie, einen umfassenden und wirksamen Schutz der Grundrechte, insbesondere des Rechts auf Achtung der Privatsphäre und des Datenschutzes zu gewährleisten, wird durch diese enge Auslegung im Beschluss verfehlt. Wir werden uns daher weiterhin für das Recht auf pseudonyme Nutzung einsetzen und die erforderlichen Schritte prüfen.“
(Prof. Johannes Caspar, Pressemitteilung vom 4.03.2016).

 

4. Der EuGH hat nun im Fall ULD vs. Facebook sechs Fragen zu klären

Und auch das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) in Kiel befindet sich derzeit in einem äußerst interessanten Verwaltungsrechtsstreit, welches auch Facebook betrifft und nun in die nächste Runde geht.

Das ULD ist knapp seit fünf Jahren der Ansicht, der Betrieb einer Facebook-Fanpage verstoße gegen nationales und europäisches Datenschutzrecht. Konkret wurde beanstandet, dass die von Facebook integrierten Analyse-Tools (wie z.B. „Facebook Insights“) zur Auswertung des Nutzungsverhaltens der Seitenbesucher sowie deren Verknüpfung mit der ohnehin erfolgten Verarbeitung der Nutzerdaten für Werbezwecke einer ausdrücklich erklärten Einwilligung der Seitenbesucher bedürfe. Hieran fehle es aber, weswegen diese Facebook-Fanpage  zu deaktivieren sei. Aus diesem Grund erließ das ULD eine Anordnung gegenüber einem in Schleswig-Holstein ansässigem Bildungsunternehmen, das auf Grund der Eigenschaft als Betreiber der Facebook-Fansite als „verantwortliche Stelle“ nach dem BDSG angesehen wurde und sich anschließend mit der Klage im Verwaltungsverfahren in beiden Instanzen gegen diese Anordnung wehrte. Die Betreiberin des Netzwerks, die Facebook Ireland Ltd. ist zwar nur Beigeladene, ließ es sich aber nicht nehmen, eigene Stellungnahmen zu dem Verfahren abzugeben.

Am gestrigen Tag fand vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig die mündliche Verhandlung in dieser Sache statt mit dem Ergebnis: Nun wird erstmal der EuGH angerufen zur Klärung der datenschutzrechtlichen Verantwortung für die beim Aufruf einer Facebook-Fanpage erhobenen Nutzerdaten. Dem EuGH werden sechs konkrete Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (BVerwG 1 C 28.14 – Beschluss vom 25. Februar 2016). Solange dies nicht geklärt ist, wird das anhängige Revisionsverfahren erst einmal ausgesetzt.

Die Leiterin des ULD, Marit Hansen kommentiert in der gestrigen Pressemitteilung diese Entscheidung des Gerichts wie folgt:

„Nach mehr als fünf Jahren und drei Instanzen hatte ich auf klare Aussagen und einen Abschluss des Rechtsstreits gehofft. Vor dem Hintergrund, dass wir in zwei Jahren mit der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung arbeiten werden, steht zu befürchten, dass der ursprüngliche Sachverhalt in der rechtlichen und technischen Umsetzung überholt sein wird. Mit Blick auf die jüngsten Urteile des EuGH mit Datenschutzbezug ist aber hier mit deutlichen Impulsen für den Schutz der Betroffenenrechte zu rechnen. Außerdem freue ich mich darüber, dass das Bundesverwaltungsgericht in der Verhandlung die Wirksamkeit der Grundrechte auch in komplexen Verarbeitungszusammenhängen im Internet betont hat.“ (Quelle: Pressemitteilung des ULD)

Fazit zur aktuellen Bestandsaufnahme: Es bleibt also spannend, wie es in den nächsten Wochen weiter geht mit der aktuellen Materie des Datenschutzes und ob weitere aufsichtsbehördliche Schritte in Hamburg eingeleitet und umgesetzt werden. Vieles liegt auch nicht in der Hand der deutschen Datenschützer, sondern muss auf EU-Ebene diskutiert werden. Entscheidend wird sein, ob das „EU-US Privacy Shield“-Abkommen in Kürze zur Zufriedenheit der Beteiligten besprochen und sodann abgesegnet wird – und wie anschließend die nationalen Datenschutzbehörden darauf reagieren. Bestehen weiterhin ernsthafte Zweifel an dem Datenschutz-Level in den USA, dürfte sich das Spiel wiederholen.

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Rostocker Richter nach Facebook-Foto für befangen befunden

Ein Strafrichter aus Rostock ist durch ein Foto auf seinem persönlichen Facebook-Profil sowie weiteren Bemerkungen negativ aufgefallen, so dass der Bundesgerichtshof (BGH) nunmehr in der Revision die Besorgnis der Befangenheit annahm. Zukünftig sollten Richter also aufpassen, was sie privat im Internet veröffentlichen.

Das Themenfeld „Facebook und Arbeitsrecht“ füllt mittlerweile viele Bücher. Zahlreiche Entscheidungen deutscher Gerichte sind in den letzten Jahren ergangen, in denen beispielsweise die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen anstößiger Beiträge gegenüber dem Chef  oder nach veröffentlichten Urlaubsfotos während einer angeblichen Krankschreibung für rechtmäßig erklärt worden sind. Aber auch mit der Frage, ob ein Arbeitnehmer während der Arbeitszeit privat im Internet und somit auch auf Facebook oder Twitter surfen darf, beschäftigen sich die Juristen seit Jahren.

Doch nun hat sich diese Thematik um einen weiteren, kuriosen Fall aus dem Strafrecht erweitert: Ein Strafrichter am Landgericht Rostock sorgte mit umstrittenen Inhalten auf seinem privaten Facebook Account für Schlagzeilen und verspielte damit seine Reputation als unvoreingenommener Richter. Dies hat nicht nur für ihn Konsequenzen, sondern auch für die damaligen Angeklagten.

Denn wie der Bundesgerichtshof (BGH) in einer erfolgreichen Revision nunmehr entschied (BGH, Az. 3 StR 482/15), wurde die Besorgnis der Befangenheit des Richters angenommen, weil sich dieser privat im Internet über die Angeklagten lustig machte.

Was war passiert? Der Richter soll sich unter anderem mit einem Foto in seinem Facebook Profil gezeigt haben, auf welchem er ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Wir geben ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA.“ trug (JVA ist bekanntlich die Abkürzung für „Justizvollzugsanstalt“). Durch das „liken“ eines Kommentars unter diesem Bild und weiteren eigenen Kommentaren soll er seine Zustimmung ausgedrückt haben, wie das Gericht nun befand. Dabei war zu keinem Zeitpunkt umstritten, dass es sich um den Account des Richters handelte, da dieser in seinem Profil unter anderem sein Amt als Richter angegeben hatte.

In einem Prozess vor der 2. Großen Strafkammer des Landgericht Rostock unter der Leitung des fraglichen Richters wurden zwei Angeklagte im April letzten Jahres unter anderem wegen erpresserischen Menschenraub und gefährlicher Körperverletzung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Im vorangegangenen Ablehnungsgesuch nach § 24 Abs. 2 StPO im Rahmen des Prozesses hatten die Strafverteidiger noch keinen Erfolg. Der Befangenheitsantrag wurde abgelehnt mit der Begründung, das Foto entstamme der Privatsphäre des Richters und sei als „Witz“ einzustufen. Eine Stellungnahme hatte dieser dazu nicht abgegeben. Doch in der Revision vor dem BGH kam es zu der wegweisenden Entscheidung.

Wie der 3. Strafsenat des BGH befand, mache sich der Strafrichter einen Spaß auf Kosten der Angeklagten.

„Der Inhalt der öffentlich und somit auch für jeden Verfahrensbeteiligten zugänglichen Facebook-Seite dokumentiert eindeutig eine innere Haltung des Vorsitzenden, die bei verständiger Betrachtung besorgen lässt, dieser beurteile die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv, sondern habe Spaß an der Verhängung hoher Strafen und mache sich über die Angeklagten lustig. [..] Dessen Internetauftritt ist insgesamt mit der gebotenen Haltung der Unvorgenommenheit eines im Bereich des Strafrechts tätigen Richters nicht zu vereinbaren.“ (BGH, Az. 3 StR 482/15)

Auf Grund der erfolgreichen Revision der Strafverteidigung muss das Strafverfahren nun erneut verhandelt bzw. neu entschieden werden. Interessant ist außerdem, dass dieses Mal jedoch vor dem Landgericht Stralsund verhandelt wird, also die BGH Richter das Verfahren gleich an ein ganz anderes Gericht statt wie üblich nur an eine andere Kammer des Ausgangsgerichts verweisen.

Der Hamburger Strafverteidiger und Rechtsanwalt Dr. Böttner meint dazu:

„Bemerkenswert ist auch, dass der 3. Strafsenat des BGH das Verfahren nicht etwa an eine andere Kammer des Landgerichts Rostock verwiesen hat, sondern offenbar die Auffassung der Verteidigung teilt, dass die Angeklagten dort kein faires Verfahren erwartet, nachdem man am Landgericht durch Ablehnung des offensichtlich begründeten Befangenheitsantrages versucht hat „Schützenhilfe“ zu leisten. Der BGH hat von § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht und die Sache zur neuen Tatsachenverhandlung an das LG Stralsund verwiesen. Eine solche Vorgehensweise ist eher selten.“

Laut Angaben des NDR soll die fragliche Facebook-Seite des Richters inzwischen gelöscht worden sein, was natürlich keinen Einfluss auf den weiteren Fortgang des Verfahrens hat.

Auch wird der in die Kritik geratene Richter nicht sein Amt verlieren und hat auch keine dienstrechtlichen Folge zu befürchten, wie nun das Landgericht Rostock durch eine Sprecherin mitteilen ließ.

Welche Folgen können aus dieser Entscheidung entstehen?

Die meisten Strafverteidiger dürften diesen Erfolg begrüßen, wurde doch erstmals vom BGH deutlich gemacht, dass auch das „Privatleben“ eines Richters bei der Besorgnis der Befangenheit eine wesentliche Rolle spielen kann. Bisher bestand nur eine sehr geringe Erfolgschance beim Ablehnungsgesuch eines Richters. Strafverteidiger Dr. Böttner erkennt hierin eine eingeläutete Wende: „Es ist zu erwarten, dass zukünftig Befangenheitsanträge mit Substanz häufiger Erfolg haben werden.“

Zukünftig sollten sich die Richter hierzulande also achtsamer um ihre Privatsphäre geben und vor öffentlichen „Stammtisch-Meinungen“ hüten. Im Facebook-Zeitalter ist es daher umso wichtiger, auf die eigene Online-Reputation und etwaige Privatsphären-Einstellungen zu achten. Dies gilt selbstredend nicht nur für Richter oder Amtsträger.

Zudem ist dieser Fingerzeig des BGH in die Richtung des Landgerichts Rostock nicht ganz außer Acht zu lassen. Die Zurückweisung der Strafsache an ein ganz anderes Gericht lässt sich durchaus als Kritik an dem gesamten Gericht deuten.

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Youtube-Blogger „Julien“ verurteilt – Wo sind die Grenzen der Kunstfreiheit?

Der Youtube-Blogger “Julien” S. (27) ist am Mittwoch vom Amtsgericht Tecklenburg wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung sowie Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro verurteilt worden. Zuvor hatte er in einem Youtube-Video im Mai 2015 die GDL beleidigt und einen Vergleich mit den Schreckenstaten der Nazi-Zeit gezogen.

Wer sich tagtäglich im Internet aufhält, dürfte den einen oder anderen Youtube-Blogger kennen. Diese werden zumeist dadurch berühmt, dass sie sich mit krassen oder jugendlichen Worten zu aktuellen Ereignissen an die Zuschauer wenden oder neue Spiele, Filme oder Produkte vorstellen, um auf diese Weise möglichst viele Klicks und Aufrufe zu genieren. Haben sie dann mehrere Millionen Klicks, schließt das Unternehmen hinter der Videoplattform (z.B. Google bei Youtube) üblicherweise einen Vertrag mit den Akteuren, der eine gewisse Gewinnbeteiligung (z.B. 1-2 Euro pro 1000 Klicks) vorsieht und den Blogger zu weiteren Videos animieren soll. Mit diesem virtuellen Schauspiel verdienen die selbst ernannten „Youtube-Stars“ teilweise sogar viel Geld und hoffen womöglich auf noch mehr Bekanntheit in den Medien – oder ein Interview mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Einer dieser Youtube-Blogger hat es nun aber offensichtlich im vergangenen Jahr übertrieben und musste sich nun für seine Äußerungen vor Gericht verantworten.

Denn der 27-jährige Youtube-Blogger Julien S. veröffentlichte im Mai 2015 eines seiner regelmäßigen Videos auf seinem Video-Kanal, in welchem er sich zum erneuten Streik der Gewerkschaft für Lokführer (GDL) im öffentlichen Bahnverkehr ausließ. Wohl wissend die vereinzelte Wut einiger Bahnreisenden und Pendler aufzusaugen, beschimpfte er die Verantwortlichen der GDL mit folgenschweren Worten. So bezeichnete er die Gewerkschaftler nicht nur als „Hurensohn-Armee“ und „Drecksbastarde“, was für sich genommen wohl schon die Strafbarkeit der Beleidigung nach § 185 StGB begründen dürfte, sondern zog Vergleiche zur NS-Zeit. Unter anderem meinte er „vergasen sollte man die Mistviecher” und sprach sich sinngemäß dafür aus, sie gleich selber nach Ausschwitz fahren zu wollen. Passende Bilder vom Konzentrationslager in Ausschwitz soll er dabei in dem Videoclip gleich mitgeliefert haben, der rund 800.000 Aufrufe auf der Video-Plattform innerhalb von 4 Monaten generierte. Erst dann wurde es gelöscht.

Die Kunstfreiheit und das Strafrecht

Julien, der sich gern als Videokünstler bezeichnet, lebt von seinem Video-Kanal auf Youtube mit rund 1.3 Millionen Abonnenten und soll damit laut Prozessbeobachtern rund 90.000 Euro im Jahr 2014 verdient haben. Demnach ist es längst kein Hobby mehr. Und gewiss darf er sich auch bezüglich seiner virtuellen Monologe auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und auf die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen, sowie auch jeder andere Blogger, Journalist oder Redner im Web.

Aber ist es überhaupt Kunst, in seinem vermeintlich privaten Video-Kanal über irgendwelche Nachrichten, Kinofilme oder Lippenstifte zu reden?

Die Bestimmung des Kunstbegriffs ist umstritten. Fest steht nur, dass der Staat nicht bestimmen soll, was Kunst ist und was nicht; insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrfach die Kunstfreiheit als elementaren Bestandteil der demokratischen Grundordnung bezeichnet und klargestellt, dass sie einen sehr weiten Schutzbereich genießt und nur im Rahmen der so genannten „Wechselwirkungstheorie“ von anderen Grundrechten eingeschränkt werden darf.

Dabei wendet die Rechtsprechung den so genannten „materiellen Kunstbegriff“ an, nach welchem:

„das Wesentliche der künstlerischen Entscheidung (…) die freie schöpferische Gestaltung“ ist, „in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“ (BVerfGE 30, 173, 188).

 

Schließlich schützt auch die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht jedwedes Handeln und hat ihre Grenzen spätestens da, wo die Menschenwürde anderer verletzt sein könnte. Häufig führt dies im Medienrecht zur Kollision zwischen der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, welche die Gerichte durch eine umfassende Abwägung der Rechte und Interessen im konkreten Einzelfall aufzulösen haben.

Wie verhält es sich hier? In Betracht kommen die Verletzung der persönlichen Ehre und auch der Menschenwürde der angesprochenen Mitglieder und Verantwortlichen der GDL, die der Youtube-Blogger als „Mistviecher“, „Hurensöhne“ und „Drecksbastarde“ bezeichnet hat. Mit Wortwitz hat das wenig zu tun.

Zudem gilt es beispielsweise die strafbare Beleidigung nach § 185 StGB und die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen. Letzteres wird regelmäßig angenommen, wenn jemand im Internet, z.B. auf Facebook:

„in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert“.
(§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Derartige Konflikte zwischen dem hohen Gut der Kunst und dem Strafrecht wurden schon 2013 bei einem Song von deutschen Rapper Bushido erörtert, der in seinen Songs auf die gewohnte Art der „Ghetto Rapper“ mehrere Politiker und Prominente angriff.

Außerdem ist bei diesem fraglichen Youtube-Clip noch an § 130 Abs. 3 StGB zu denken gewesen, indem Julien das KZ in Auschwitz und das „Vergasen“ der Opfer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus durch seine Rede gebilligt bzw. verharmlost haben könnte.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach einer Strafanzeige

Nachdem einer der Zuschauer die Strafanzeige gegen Julien wegen dessen Aussagen zur GDL bei der Polizei eingereicht und die Staatsanwaltschaft sodann die Ermittlungen aufgenommen hatte, erließ das Amtsgericht Tecklenburg kürzlich einen Strafbefehl wegen der begangenen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB mit einer Bewährungsstrafe nebst Geldauflage in Höhe von 14.000 Euro. Der 27-Jährige Blogger konnte sich damit nicht abfinden und erhob Einspruch, woraufhin das Amtsgericht Tecklenburg die Hauptverhandlung eröffnete und Julien am vergangenen Mittwoch nach einer mehrstündigen Verhandlung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung und Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro verurteilte. Ob er hiergegen Rechtsmittel einlegen wird, ist derzeit unklar.

Der angeklagte Blogger versuchte sich anfänglich noch vor Gericht damit zu rechtfertigen, er spiele nur eine Art „Rolle“, und wollte auf andere prominente Schauspieler und Komiker hinweisen, die ebenfalls öffentliche Witze über die „Nazis“ und Hitler machten, wie z.B. Christoph Maria Herbst als Stromberg. Der Richter folgte dieser Argumentation jedoch nicht und kritisierte darüber hinaus das fehlende Unrechtsbewusstsein des Youtube-Bloggers, der bekanntermaßen mit seinen Videos auf sich Aufmerksam machen will.

Ein gerechtes Urteil?

Sind die Bewährungsstrafe nebst Geldstrafe für strafrechtlich relevante Aussagen in einem Internet-Video gerecht?

Die Entscheidung ist zu befürworten und sollte wohl ein Zeichen setzen. Nicht jedes Wort eines Komikers oder selbst ernannten „Youtube-Stars“ kann unter dem Deckmantel der „Kunstfreiheit“ für rechtlich zulässig erachtet werden. Mag jeder Zuschauer oder Leser einen anderen Humor haben und auch Hitler-Parodien wie jüngst mit dem Roman und anschließenden Kinofilm „Er ist wieder da“ noch als derbe oder grenzwertige Kunst bezeichnet werden, ist der Blogger Julien mit seiner gewählten Wortwahl deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Auch sein angebliches Argument, er wisse nicht, dass NS-Witze strafbar seien, kann wohl in der heutigen Zeit kaum greifen.

Im Gegensatz zu Schauspielern oder Komikern wie ein Christoph Maria Herbst oder Michael Kessler als „Hitler“ in der Satire-Sendung von Pro7 – Switch, die durch Übertreibungen der Nachahmung klar erkennbar als Satire wirken und auch selbst dann nicht mal im Entferntesten die Schreckenstaten in den KZs ansprechen, ist und bleibt ein Youtube-Star eine eher unbekannte Privatperson, die auch entgegen anderslautender Wahrnehmung gerade keine „Schauspielrolle“ einnimmt. Und auch der Vergleich mit dem umstrittenen Künstler Jonathan Meese hinkt, der sich wegen eines „Hitler-Grußes“ im Rahmen von Kunstausstellungen und Auftritten strafrechtlich verantworten musste.

Schließlich stellen diese Schauspieler und Künstler klar erkennbar eine fremde Person oder übertriebene Rolle bei öffentlichen Auftritten dar. Bei den Youtubern entsteht hingegen vielmehr der Eindruck, dass die Videos im privaten „Kinderzimmer“ alleine gedreht werden und so ein privater, tiefer Einblick in die Wohnung und Seele des Redners gewährt wird. Sie spiegeln offenkundig die persönliche Meinung des Autors wider. Vor Allem jüngere Zuschauer und Mitglieder in den sozialen Netzwerken dürften die Youtuber deshalb als private Persönlichkeiten oder „Bekannte“ ansehen und nicht als Schauspieler. Zumal die Videos im Gegensatz zu Filmen oder TV-Serien mit wenigen Klicks geteilt und ständig erneut angeschaut werden können und in den wenigsten Fällen Schutzvorkehrungen wie z.B. den Vorgaben der FSK hinsichtlich der Alterseinschränkungen unterliegen.

Vor diesem Hintergrund ist diese Verurteilung eine annehmbare Entscheidung des Gerichts.

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LG Hamburg untersagt Facebook-Nutzer weitere Hass-Kommentare

Das Landgericht Hamburg hat per einstweiliger Verfügung einem Facebook-Nutzer untersagt, Beleidigungen gegenüber der ZFD-Moderatorin Dunja Hayali auf derer Facebook-Seite zu äußern. Im Falle der Zuwiderhandlung drohe dem Betroffenen ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Und es gibt bereits mehrere Verurteilungen vor den Strafgerichten wegen der Facebook-Hetze.

Die Journalistin Dunja Hayali ist es längst gewohnt, Opfer von Hass-Kommentaren und Beleidigungen im Internet wie auch auf der Straße zu werden. Für ihr Engagement gegen Rassismus und offenen Diskurs in der Flüchtlingsdebatte, muss sie tagtäglich mit krassen Anfeindungen leben. In TV-Sendungen sprach die Preisträgerin der Goldenen Kamera 2016 mehrfach über ihrem Umgang mit diesen Beleidigungen und wandte sich aktiv gegen die vermeintlichen Übeltäter.

Nun ließ sie durch ihren Anwalt eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht Hamburg erwirken, in welcher einem Facebook-Nutzer die Äußerung von solchen Hass-Kommentaren auf der Facebook-Seite der Journalistin untersagt wird. Der Klarname des Facebook-Mitglieds konnte anhand seines Nutzernamens ermittelt und so der Betroffene identifiziert werden, an den die einstweilige Verfügung mittlerweile zugestellt worden ist. Er hatte am 7. Januar dieses Jahres unter anderem die TV-Moderatorin als „ein dummes Stück Scheiße“ und „Gehirntote in der Merkelpropaganda“ bezeichnet und den Vergleich mit der Propaganda aus dem dritten Reich gezogen.

Die Nachricht ist deshalb erwähnenswert, weil diese einen der wenigen Fälle aufzeigt, in denen sich ein Prominenter gegen Hass-Kommentare und Beleidigungen in den sozialen Netzwerken gerichtlich zur Wehr setzt und trotz des hohen Guts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I Grundgesetz (GG) dem Äußernden derartige Aussagen untersagt werden.

Ungeachtet etwaiger strafrechtlicher Wege, wie beispielsweise die Anzeige wegen der strafbaren Beleidigung nach § 185 StGB, dürfte das zivilrechtliche Verfahren mit dem angedrohten Ordnungsgeld bereits eine abschreckende Wirkung erzielen. Ob sich die Nutzer dadurch von Anfeindungen und Drohungen abschrecken lassen, darf jedoch bezweifelt werden. Es bleibt festzustellen: Es wird dem Nutzer zu leichtgemacht, die Meinung auf Plattformen wie Facebook durch ein paar Klicks der Welt mitzuteilen und sich an den öffentlichen Streitigkeiten in Kommentaren oder auf Facebook-Seiten zu beteiligen.

Der Fall ist längst kein Einzelfall mehr. Trotzdem gibt es in der Praxis zahlreiche Schwierigkeiten in der Rechtsverfolgung. Denn in den meisten Fällen werden Hass-Kommentare und Beleidigungen unter einem Pseudonym auf Facebook veröffentlicht, anhand dessen den Opfern nur geringe Erfolgschancen auf die Identifizierung des vermeintlichen Täters eingeräumt sind. Zwar könnte das Unternehmen Facebook die IP-Adresse eines jeden Facebook-Nutzers rekonstruieren (was sie gewiss leugnen würden) und so unter Umständen der Anschlussinhaber mittels Provider ausfindig gemacht werden, doch gehen hiermit zu viele Unwägbarkeiten einher. Es müsste die Herausgabe der IP-Adresse durch Facebook richterlich angeordnet werden und gleichfalls auch die Herausgabe von Namen und Adresse des Anschlussinhabers durch den Provider. Voraussetzung hierfür ist immer, dass die IP-Adressen auf beiden Seiten überhaupt (noch) gespeichert und rekonstruiert werden können – also innerhalb von 7 Tagen bis 4 Wochen das Verfahren vollzogen wird. Das ist ein Zeitfenster, was nur selten einzuhalten ist.

Sofern diese Hürden bewältigt sind, könnte sich der Anschlussinhaber noch darauf berufen, selber gar nicht gehandelt zu haben. Zu guter Letzt müsste also noch das Handeln des Betroffenen nachgewiesen werden. Mit einem Rechtsanwalt oder Strafverteidiger sollte sich der Tatvorwurf unter Umständen entkräften lassen. Zumal der Richter überhaupt erst einmal zur Überzeugung gelangen muss, dass beispielsweise der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt ist und sich die fragliche Aussage nicht im zulässigen Bereich der Meinungsfreiheit bewegt.

Erste Verurteilungen wegen Hass und Hetze auf Facebook

Mittlerweile häufen sich diese Fälle: So ist vor wenigen Tagen ein 30-jähriger Mann aus Bayern vom Amtsgericht Wolfratshausen wegen der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Der vorbestrafte Mann versuchte sich vor Gericht zu rechtfertigen und argumentierte, er habe schlechte Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht.

Und im Oktober letzten Jahres verurteilte ein Amtsgericht eine 29-jährige Facebook-Nutzerin aus Berlin wegen der Volksverhetzung ebenfalls zu einer Bewährungsstrafe. Sie hatte Hetze gegen Flüchtlinge betrieben und unter anderem „Weg mit dem Dreck“ diesbezüglich geschrieben. Hier sah das Gericht die Schuld der jungen Frau für erwiesen an, nachdem sich die Angeklagte geständig einließ und zugab, sich im Ton vergriffen zu haben. Zuvor hatte schon das Amtsgericht Tiergarten im August 2015 einen Berliner zu einer Geldstrafe in Höhe von 4800 Euro wegen fremdenfeindlicher Hassbeiträge auf Facebook verurteilt.

Obwohl die Task-Force von Bundesjustizminister Heiko Maas gegen Fremdenhass und Hetze aktiv ist und auch Facebook die Unterstützung im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Hass zugesagt hat, sind gerichtliche Entscheidungen gegenüber den Hetzern angesichts der Unmengen an Kommentaren bzw. Beiträgen in den sozialen Netzwerken noch rar. Dies kann sich aber bald ändern. Gleichwohl muss eine Gesellschaft solch verschiedene Meinungen mit teils krasser Wortwahl aushalten, sofern die Aussagen unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit liegen. Bei Formulierungen wie „der Dreck muss weg“ oder gar dem Aufruf zur Brandstiftung oder Tötung ist selbstverständlich die Strafbarkeit anzunehmen.

Es bleibt abzuwarten, ob neben der möglichen Strafverfolgung noch weitere, erfolgsversprechende Systeme installiert werden, um Fremdenfeindlichkeit und Hetze in den sozialen Netzwerken einzugrenzen oder ganz zu unterbinden. Schließlich sollte es auch im Interesse des jeweiligen Seitenbetreibers liegen, niveaulose oder anstößige Inhalte zu verhindern. Facebook hingegen dürfte sich diese Vorfälle zu Nutze machen, um damit der Forderung nach der rechtlichen Zulässigkeit der angestrebten Klarnamenpflicht im sozialen Netzwerk weiter Nachdruck zu verleihen. Fraglich ist, ob das der richtige Weg ist?

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