Schlagwort-Archive: Kunstfreiheit

LG Hamburg untersagt Böhmermann die erneute Wiedergabe von Teilen des Gedichts

Während vielerorts noch über die vergangene ZDF „Neo Magazin Royale“-Sendung mit Jan Böhmermann und dessen neuesten „Coup“ (#verafake) diskutiert wird, musste der 35-jährige Journalist und Satiriker vor wenigen Stunden wegen des umstrittenen Gedichts „Schmähkritik“ eine erste juristische Niederlage hinnehmen. Wie geht es jetzt weiter?

Seit heute gibt es einen juristischen Erfolg für Recep Tayyip Erdogan. So konnte der türkische Staatspräsident nun durch seinen Rechtsanwalt Hubertus von Sprenger laut Medienberichten vor der Pressekammer am Landgericht (LG) Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen Jan Böhmermann erwirken (LG Hamburg, Beschluss vom 17.05.2016, Az.: 324 O 255/16). Der Beschluss sieht unter anderem vor, dass dem Satiriker die erneute Wiedergabe weiter Teile des Gerichts untersagt wird.

Die Pressekammer am Landgericht Hamburg bewertet das fragliche Gedicht zwar in seiner Gesamtheit als Satire und sieht somit auch den Schutzbereich der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG)) eröffnet, betont jedoch, dass viele Passagen des Stückes einen schmähenden und ehrverletzenden Charakter haben, die das türkische Staatsoberhaupt nicht hinzunehmen brauche. Dabei nahm sich das Gericht im Rahmen der Interessenabwägung zwischen der Kunstfreiheit auf Seiten des TV-Moderators und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) des türkischen Staatspräsidenten augenscheinlich jede einzelne Zeile des Erdogan-Gedichts vor.

Einige wenige Textpassagen erachtet die Pressekammer sogar für zulässig, da diese sich mit Kritik an der politischen Person Erdogan und dessen Umgang mit der Meinungsfreiheit im eigenen Lande auseinandersetze und somit einen sachlichen Bezug habe. Dies fehle jedoch bei den Anspielungen auf rein sexuelle Handlungen des türkischen Staatsoberhaupts oder dessen Genitalien. Hier sei die Grenze der zulässigen Satire jedoch überschritten worden, wie es von viele Juristen (und auch in diesem Blog) vorhergesehen wurde.

Konkret heißt es in der heutigen Mitteilung des Pressekammer am LG Hamburg:

„In Form von Satire geäußerte Kritik am Verhalten Dritter finde ihre Grenze, wo es sich um eine reine Schmähung oder eine Formalbeleidigung handele bzw. die Menschenwürde angetastet werde.
Diese Grenze sei nach Auffassung der Kammer durch bestimmte Passagen des Gedichts überschritten, die schmähend und ehrverletzend seien. Zwar gelte für die Einkleidung eines satirischen Beitrages ein großzügiger Maßstab, dieser berechtige aber nicht zur völligen Missachtung der Rechte des Antragstellers. Durch das Aufgreifen rassistisch einzuordnender Vorurteile und einer religiösen Verunglimpfung sowie angesichts der sexuellen Bezüge des Gedichts überschritten die fraglichen Zeilen das vom Antragsteller hinzunehmende Maß.“

Und dies betrifft den überwiegenden Teil des Gedichts. Lediglich sechs Zeilen des Vortrags, wie z.B. „Sackdoof, feige und verklemmst, ist Erdogan, der Präsident“ werden für rechtlich haltbar befunden, wobei diese eher weniger im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Wie geht es weiter?

Nach der heutigen Entscheidung ist es Jan Böhmermann untersagt, die betreffenden Textzeilen des Gedichts abermals öffentlich wiederzugeben. Und zwar gleich, ob in einer TV- oder Radio-Sendung oder z.B. auf seiner privaten Facebook-Seite. Denn in der Praxis wird regelmäßig für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine solche einstweilige Verfügung ein Zwangsgeld in Höhe von bis zu 250.000 Euro, andernfalls eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angedroht. Verstößt der unterliegende Antragsgegner gegen die einstweilige Verfügung, indem er die ihm versagte Äußerung wiedergibt oder verbreitet, muss er ab sofort damit rechnen, auf die Zahlung eines solchen Ordnungsgeldes in Anspruch genommen zu werden. Eine solche Regelung soll auch in dem Beschluss des LG Hamburgs enthalten sein.

Ist der juristische Kampf nun bereits in der ersten Runde entschieden? Wahrscheinlich nicht, wenn man den Worten von Böhmermanns Anwalt Christian Schertz Glauben schenken mag. Dieser kritisierte bereits öffentlich die Herangehensweise des Gerichts, einzelne Sätze des „Werks“ als solche und nicht das Gedicht als Einheit sowie im Kontext der Sendung zu betrachten. Diese Argumentation dürfte angesichts des überwiegenden Teils der von der Kammer für unzulässig erachteten Textpassagen wenig erfolgsversprechend sein. Auch zeigt gerade die vom Gericht vorgenommene Interessenabwägung unter Berücksichtigung jedes einzelnen Satzes mit aller Deutlichkeit, wie umfassend sich das Gericht mit den Rechten beider Seiten auseinandergesetzt haben muss. Von einer übereilten, fehlerhaften Bewertung des streitgegenständlichen Vortrags kann wohl keine Rede sein.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Jan Böhmermann kann gegen die Verfügung noch Widerspruch einlegen, woraufhin das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung über die Sache zu entscheiden hat. Es ist aber ungewiss, ob die Kammer dann zu einem anderen Ergebnis gelangen wird. Dass sich dort der türkische Präsident jedoch selbst blicken lässt, ist äußerst unwahrscheinlich.

Aber auch im strafrechtlichen Sinne droht Jan Böhmermann noch weiteres Ungemach. So sind über hundert Strafanzeigen gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen. Diese ermittelt unter anderem wegen den Straftatbestand nach § 103 Strafgesetzbuch (StGB) wegen der etwaigen Beleidigung des türkischen Staatsoberhauptes. Die Ermächtigung zur strafrechtlichen Ermittlung hatte die Bundesregierung der zuständigen Staatsanwaltschaft trotz großer Kritik erteilt. Gleichwohl wird sogar vom Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) daran gedacht, die auch als „Majestätsbeleidigungs-Paragraphen“ bezeichnete Vorschrift des § 103 StGB spätestens zum 1. Januar 2018 aus dem Gesetz zu streichen. Doch wäre dieser Schritt vielleicht nicht der richtige, wie manch Strafrechtler meint. Es bleibt aber erst einmal abzuwarten, ob es überhaupt zu einer Anklage kommt.

Bildquelle: ZDF / zdf.de

Beitrag bewerten: 1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (2 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)
Loading...

Das Gedicht „Schmähkritik“ über Erdoğan – Hat sich Jan Böhmermann strafbar gemacht? Und wie weit darf die Kunstfreiheit gehen? *UPDATE*

Der deutsche Journalist und TV-Moderator Jan Böhmermann ist seit Jahren bekannt für seine provokanten Beiträge in den Medien und sozialen Netzwerken. So zeigt er sich in vermeintlich sarkastischen Youtube-Videos als Gangsta-Rapper, Aufklärer der Presse oder mischt sich mit auffälligen Aktionen in brisante Themen der Politik und Gesellschaft ein. Dafür wird er von vielen Menschen bejubelt. Diesmal könnte er aber über das Ziel deutlich hinausgeschossen sein.

In einer jüngeren Ausgabe von „Extra 3“ im NDR präsentierte der Moderator Christian Ehring eine Parodie auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Das Lied und fortgeführte Skizzen füllten tags darauf die sozialen Netzwerke. Als sich laut Medienberichten das türkische Staatsoberhaupt mit diesen Bildern in seiner Ehre verletzt sah, holte der Satiriker Böhmermann zum medialen Konter aus. In der Sendung „Neo Magazin Royale“ vom 30. März 2016 des Senders ZDF richtete sich der 35-jährige Satiriker deshalb an den türkischen Präsidenten, um ihm den Unterschied zwischen der Presse-/Meinungsfreiheit und der Schmähkritik zu erklären. Hierzu las er ein schmähliches Gedicht vor, welches nach seinen Erläuterungen den Titel „Schmähkritik“ trage und in Deutschland verboten sei. (Die Dichtung trägt unter anderem vor, dass der türkische Staatspräsident Sex mit Ziegen habe usw.).

Der „Trick“, Unerlaubtes möglicherweise durch die eigene Distanzierung und Einstufung als „verboten“ doch folgenlos auszusprechen und so in die Öffentlichkeit „erlaubt“ einzubringen, ist nicht ganz neu (Man denke an den Prozess Galileo Galilei, Dialogo i due Massimi Sistemi del Mondo, Tolemaico, e Copernicano, 1632). Diskutiert werden kann nun, ob dieser „Disclaimer“ ausreichend ist, das bewusst als verboten Dargestellte nicht strafrechtlich relevant werden zu lassen, und es sich dabei um eine geniale Einkleidung als Satire handelt, oder ob die gesamte Szene eine strafbare Schmähkritk darstellt. Immerhin gibt Böhmermann in dieser Szene mehrmals zu bedenken, dass das von ihm beispielshaft vorgelesene Gedicht nicht zulässig sei. Reicht dies bereits aus, um die gesamte Sequenz als Satire einzustufen?
Ferner stellt sich die Frage, ob die Aussage von Böhmermann in seiner Funktion als Teil der Sendung getroffen wurde oder sie ihm als Privatperson zuzurechnen ist. Letzteres wird wohl auszuschließen sein.

Die Geschichte ist damit also noch nicht zu Ende. Denn die Verantwortlichen des Senders waren offensichtlich wenig erfreut über die erneute Konfrontation mit dem türkischen Präsidenten bzw. dessen Folgen und entfernten kurzerhand den fraglichen TV-Beitrag aus der Sendung, sowie somit auch aus der ZDF Mediathek. Dies führte wiederum dazu, dass einige Medien anfänglich von einer „Zensur“ sprachen und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG)) zur Diskussion gestellt wurde. Von einer eigentlichen und vom Grundgesetz erfassten (verbotenen) Zensur im Sinne des Presserechts ( Art. 5. Abs. 1 S. 3 GG) kann indes nur dann gesprochen werden, wenn der Inhalt durch ein staatliches Eingreifen vor der Erstveröffentlichung gesperrt bzw. entfernt wird.

Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus:

„Die Verfassung verbietet nur die Vorzensur, also die Vorschaltung eines präventiven Verfahrens, vor dessen Abschluß ein Werk nicht veröffentlicht werden darf (vgl. BVerfGE 33, 52 [71 ff.]; 73, 118 [166]; 83, 130 [155])“.
(Vgl. BVerfGE 87, 209 – Tanz der Teufel)

Das ZDF ist selbst als öffentlich-rechtliche Anstalt nicht dem Staat gleichzustellen und eine Erstveröffentlichung dieser Sequenz fand im TV bereits statt. Vielmehr darf von einer internen Überarbeitung oder journalistischen „Qualitätssicherung“ der Sendung gesprochen werden, die vielleicht kritisiert, jedenfalls aber nicht für unzulässig erachtet werden darf.

Mittlerweile nimmt die Brisanz an diesem Thema zu. Gemäß einigen Medienberichten gab bereits das Auswärtige Amt ein Rechtsgutachten in Auftrag, das nunmehr die rechtliche Unzulässigkeit dieses TV-Beitrags konstatierte und darüber hinaus sogar eine mögliche Strafbarkeit vermutet. Konkret heißt es: Das von Jan Böhmermann vorgetragene Gedicht über Erdoğan erfüllt den Straftatbestand der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten nach § 103 Strafgesetzbuch (StGB). Diese Vorschrift ist lex specialis zu der allgemeinen Vorschrift der Beleidigung nach § 185 StGB und mit einer Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, unter anderen Umständen sogar bis zu fünf Jahren Haft bedroht. Auch sollen derzeit 20 Strafanzeigen gegen den Journalisten gestellt worden sein.

Möglicherweise ist dies auch der Grund, warum die Staatsanwaltschaft Mainz bereits strafrechtliche Ermittlungen gegen Jan Böhmermann aufgenommen haben soll. Ihm drohen nun juristische Konsequenzen – und wohl unabhängig davon, ob der türkische Präsident als Betroffener (Opfer) einen Strafantrag stellt oder die Staatsanwaltschaft über Umwege des Strafrechts die Ermittlungen aufnimmt. Im Falle der Beleidigungsdelikte müsste hingegen der Geschädigte (in Deutschland) einen Strafantrag stellen. Die türkische Regierung hat anscheinend schon verlauten lassen, einen Strafprozess wegen des Gedichts zu fordern, so dass die deutsche Bundesregierung nun die Staatsanwaltschaft zu den Ermittlungen ermächtigen müsste.

Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrechte des Betroffenen

Dieser umstrittene TV-Beitrag wirft abermals die Frage auf, wo die Grenzen der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) liegen und ab wann ein Presse-/Medien-Inhalt nicht mehr von diesem Schutzgut der Kunstfreiheit umfasst ist. Denn trotz des offenen Kunstbegriffs ist dieser verfassungsrechtlich verankerte Schutz nicht grenzenlos (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007, Az. 1 BvR 1783/05). Sie findet ihre Grenzen unter anderem in der strafbaren Schmähkritik.

Diese Thematik wurde vor kurzem erst im Rahmen der Verurteilung des Youtube-Bloggers “Julien” S. diskutiert. Hier verurteilte das Amtsgericht Tecklenburg den selbsternannten Youtube-Star wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung sowie Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro. Der Youtuber hatte es im vergangenen Jahr für humorvoll empfunden, in einem seiner Video-Blogs die Angehörigen der Gewerkschaft für Lokführer (GDL) nach diversen Bahn-Streiks eigenhändig in ein KZ zu schicken und zog sodann Vergleiche mit den Schreckenstaten der Nazis. Das Gericht sah die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten.

Und auch ein 28-jähriger Bochumer wurde vor wenigen Tagen vor dem Amtsgericht Bochum zu einer Geldstrafe von 2.000 Euro verurteilt wegen einer Äußerung auf Facebook gegenüber der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er hatte unter anderem gegen die Kanzlerin Hetze betrieben und gefordert, Angela Merkel „öffentlich zu steinigen. Hiermit seien gleich mehrere Straftatbestände erfüllt gewesen.

Im Falle des Gedichts über das türkische Staatsoberhaupt dürften die Juristen zu einem ähnlichen Ausgang im Zwiespalt zwischen der schützenswerten Kunst in Gestalt von Satire und den Rechten des Betroffenen gelangen. Trotz zulässiger Stilmittel der Übertreibung oder krasser Worte im klar erkennbaren Kontext der Satire wurde der rechtlich erlaubte Korridor mit Anspielungen auf (verbotene) sexuelle Vorgänge, dem Geschlechtsteil usw. deutlich verlassen. Überdies ist nicht mal ansatzweise erkennbar, inwiefern die gewählten Worte überhaupt einen gesellschaftlichen Beitrag zur Diskussion über die Person Erdoğan und dessen Funktion/Politik liefern (Hierzu ausführlicher zum nachlesen).

Vielmehr ist das Gedicht für sich genommen bereits eine strafbare Beleidigung, die in strengeren Glaubensrichtungen, in denen Familie, Ehre und Religion eine größere Rolle spielen als hierzulande, noch deutlich schwerer wiegt. Anders als bei den umstrittenen Karikaturen von „Charlie Hebdo“ ist die vorgetragene „Dichtkunst“ weder von künstlerischen, überzogenen Stilmittel geprägt noch steht sie in einem gesellschaftlichen Diskurs über den türkischen Amtsträger.

Zudem haben die jüngsten TV-Beiträge auch auf politischer Ebene für Gesprächsstoff gesorgt. So soll die Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich mit dem türkischen Regierungschef telefoniert haben, nachdem zuvor der deutsche Botschafter in Ankara eingestellt und sogar das Auslandsstudio des ZDF mit „faulen Eiern“ beworfen worden war.

In der derzeitigen Lage der Weltpolitik, während politische Abkommen mit der Türkei getroffen und gleichwohl die türkische Regierung für vermeintliche Beschränkungen der Pressefreiheit im eigenen Land kritisiert wird, sind zusätzliche Spannungen zwischen den Ländern nicht gerade förderlich. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Überlegungen, den derzeit meist diskutiertesten TV-Journalisten nun zu bestrafen und somit stückweit die Pressefreiheit in Deutschland „eingrenzen“.

Ob das ZDF in naher Zukunft die Reißleine ziehen wird und wie sich Jan Böhmermann selbst zu den drohenden juristischen Folgen äußert, steht immer noch in den Sternen. In der letzten Sendung des „Neo Magazin Royale“ vom 7.04.2016 zeigte sich Böhmermann deutlich beeindruckt von der Diskussion und beließ es bei versteckten Anspielungen. Und auch der Studio-Gast Anne Will konnte ihm keine Bemerkung zu Erdoğan und den ihm drohenden rechtlichen Konsequenzen herauskitzeln.

An diesem Wochenende hat sich sodann der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer Konzerns, Mathias Döpfer zu diesem Streit um die Pressefreiheit in einer Kolumne geäußert und klare Position auf Seiten der Kunst- und Pressefreit bezogen. So zeigt er Solidarität mit Jan Böhmermann und geht sogar noch einen Schritt weiter:

„Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht kennen. Mit Präsident Erdogan als Fachgutachter für die Grenzen satirischer Geschmacklosigkeit.“
(Mathias Döpfer, Welt am Sonntag / Offener Brief vom 10.04.2016)

Döpfer nimmt es damit nicht nur billigend in Kauf, ebenfalls juristisch für den Inhalt des fraglichen Gedichts zur Verantwortung gezogen zu werden, sondern greift in seinem Beitrag fragwürdige Gedanken (unter anderem die Religionskritik) auf. Möglicherweise strebt er auf diese Weise auch die angesprochene gerichtliche Klärung der Angelegenheit an, die von wegweisender Bedeutung für die Kunst- und Pressefreiheit sein könnte. Bislang mussten sich die Gerichte schon mit prominenten Skizzen befassen, die beispielsweise Politiker als „ein sexuell-belästigendes Schwein“ (Vgl. BVerfGE 75, 369 – Strauß-Karikatur), einen extrem langhalsigen Vorstandsvorsitzenden eines DAX-Konzerns oder einen an das Kreuz genagelten Fußballtrainer zeigten.

Das weitere Prozedere wird wohl bald auf höchster, politischer Ebene entschieden.

UPDATE 11.04.2016:

Der türkische Präsident Erdoğan hat durch seine Anwalte persönlich einen Strafantrag gestellt und beruft sich dabei unter anderem auf § 103 StGB. Auch heißt es, es seien 78 Millionen Türken durch das Gedicht beleidigt worden. Nun gilt es abzuwarten, ob die Bundesregierung die Ermächtigung erteilt, so dass die Staatsanwaltschaft die notwendigen Ermittlungen aufnehmen kann.

Indes ist auch die nächste Ausgabe des ZDF „Neo Magazin Royale“ abgesagt worden und der Moderator abgetaucht. Er stünde derzeit unter Polizeischutz, will die BILD-Zeitung wissen. Derweil sind die Anzeigen gegen Böhmermann und Verantwortliche des ZDF bei der Staatsanwaltschaft Mainz auf deutlich über 100 in der Anzahl gestiegen. Weiter heißt es, die Bundesregierung nehme sich einige Tage Zeit, um das weitere Vorgehen zu erörtern. Davon unbeirrt betonte die Kanzlerin am heutigen Tag erneut die große Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland. Und die SPD erwägt, die auch als „Schah“-Paragrafen bezeichnete Vorschrift ( § 103 StGB ) aus dem Gesetz zu streichen.

UPDATE 14.04.2016:

Während immer mehr „Comedians“ ihrem Kollegen Böhmermann zur Seite springen und Medienrechtler sowie Strafrechtler zu teils unterschiedlichen Ergebnissen in der Streitfrage kommen, veröffentlichte das ZDF ein eigens in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten über die im Raum stehende Strafbarkeit in Zusammenhang mit dem vorgelesenen „Schmähgedicht“. Darin gelangen die Juristen zu dem Ergebnis, dass die in Rede stehende Sequenz einschließlich des sogenannten Schmähgedichts rechtlich zulässig war und daher die Grenzen zur Strafbarkeit nicht überschritten worden sind“.
Weiter heißt es: Es liege „im Wesen der Satire, durch gezielte Überzeichnungen, die auch darauf angelegt sind, Emotionen und Reaktionen beim Publikum auszulösen, auf ein Thema aufmerksam zu machen und Kritik zu üben“.

Vor diesem Gedanken ist es jedoch verwunderlich, dass dieser fragwürdige Teil der Sendung weiterhin nicht in der ZDF Mediathek auffindbar ist – die Verantwortlichen der Sendung argumentieren erneut mit den Qualitätsansprüchen des ZDF. Trotz interner Kritik bleibt das Gedicht also weiterhin gelöscht.

Auch sei die Frage erlaubt: Auf welches Thema wollte die Redaktion von „Neo Magazin Royal“ denn konkret aufmerksam machen, wenn es obszöne sexuelle Praktiken bzw. das private Sexualleben des türkischen Präsidenten auf überzogene Weise darstellt? Für die Veranschaulichung von „verbotener“ Schmähkritik hätten auch die sonstigen, gesellschaftlichen Bezüge des Gedichts ausgereicht, ohne auf die Metaebene der Sexualität auszuweichen. Gleiches gilt auch der Satire.

UPDATE 15.04.2016:

Wie so eben seitens der Bundesregierung mitgeteilt wurde, lässt die Kanzlerin Angela Merkel die Ermittlungen gegen Jan Böhmermann zu, also erteilt der zuständigen Staatsanwaltschaft die Ermächtigung für die strafrechtlichen Ermittlungen. Damit entspricht sie grundsätzlich dem Wunsch des türkischen Regierungschefs.

Das Argument: Nicht die Regierung, sondern die Justiz möge die Frage der Strafbarkeit klären. „Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen“, so die deutsche Kanzlerin. Gleichwohl betonte sie während der Pressekonferenz die Bedeutung der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sowie die geltende Unschuldsvermutung in einem Rechtsstaat.

Nun ist es also Sache der Staatsanwaltschaft und sollte diese letztlich die Anklage erheben, sodann auch Sache der Justiz.

Des Weiteren fordern prominente Politiker der SPD die Abschaffung des § 103 StGB. So könnte nachträglich deine Strafe wegfallen? Dies ist jedoch nur teilweise der Fall, denn die allgemeinen Beleidigungsdelikte nach §§ 185 StGB blieben ja bestehen.

UPDATE 03.05.2016:

Nun hat sich auch der Jan Böhmermann sein Schweigen gebrochen und sich zu den Ereignissen der letzten Wochen gemeldet. Im Interview mit der ZEIT spricht er unter anderem über seine Abschottung und kritisierte die Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Äußerung kurz nach Ausstrahlung. Sie habe ihn „filetiert“ und „einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai WeiWei“ aus ihm gemacht. Die Kanzlerin hatte unter anderem gegenüber Recep Tayyip Erdoğan gesagt, das Schmähgedicht sei „bewusst verletzend“. Für viele sei sie daher vor dem türkischen Staatsoberhaupt eingeknickt und ließ später auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu.

Indes streiten die Juristen über die Forderung, den Paragrafen § 103 StGB zu streichen. Der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) beabsichtigt, die Vorschrift so schnell wie möglich, spätestens aber zum 1. Januar 2018 aus dem Gesetz zu streichen. Letzteres hätte gewiss den Vorteil, nicht einen möglichen Prozess gegen den Satiriker zu gefährden bzw. auf die Justiz Einfluss auszuüben. Trotz der über 100 Strafanzeigen dürfte dem Journalisten wegen des Gedichts nur eine Geldstrafe drohen.

So halten einige das „politische Strafrecht“ für überholt und sehen hingegen ausreichend Schutz durch die allgemeinen Vorschriften aus dem Strafrecht gegeben wie z.B. § 185 StGB und befürworten eine grundsätzliche Reform des Strafrechts und keine übereilte, politische Entscheidung in der Causa Böhmermann.

Ferner fanden in den letzten Wochen mehrere Demos und provokante Veranstaltungen statt, mit denen Kritik an dem türkischen Präsidenten und dessen Vorgehen gegen das fragliche Gedicht scharf kritisiert wurden. Auf einer Veranstaltung wurden Teile aus dem besagten Gedicht vorgetragen, ehe die Polizei schnell einschritt und dies verhinderte sowie die Veranstaltung auflöste. Die Polizei nahm wohl an, das Vorlesen der fragwürdigen Zeilen des Gedichts erfülle (erneut) den Straftatbestand und müsse daher verhindert werden. Auch kam es zu kurzfristigen Festnahmen von Rednern wie dem Vorsitzenden der Berliner Piraten-Partei, Bruno Kramm. Ähnliche Protestaktionen fanden vielerorts statt. Und auch ein provokantes Plakat nicht unweit der türkischen Bootschaft sorgte für Aufsehen.

Die nächste ZDF Neo Magazin Royale Sendung soll nach der kurzen Sendepause am 12.5.2016 ausgestrahlt werden. Böhmermann wird wohl wieder mit von der Partie sein. Wenn man seine jüngsten Aktivitäten, insbesondere auch auf twitter und Facebook beobachtet, dürfte er sich wieder sehr „angriffslustig“ geben.

Warten wir ab, wie es weiter geht.

Bildquelle: ZDF / zdf.de

Beitrag bewerten: 1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (3 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)
Loading...

Youtube-Blogger „Julien“ verurteilt – Wo sind die Grenzen der Kunstfreiheit?

Der Youtube-Blogger “Julien” S. (27) ist am Mittwoch vom Amtsgericht Tecklenburg wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung sowie Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro verurteilt worden. Zuvor hatte er in einem Youtube-Video im Mai 2015 die GDL beleidigt und einen Vergleich mit den Schreckenstaten der Nazi-Zeit gezogen.

Wer sich tagtäglich im Internet aufhält, dürfte den einen oder anderen Youtube-Blogger kennen. Diese werden zumeist dadurch berühmt, dass sie sich mit krassen oder jugendlichen Worten zu aktuellen Ereignissen an die Zuschauer wenden oder neue Spiele, Filme oder Produkte vorstellen, um auf diese Weise möglichst viele Klicks und Aufrufe zu genieren. Haben sie dann mehrere Millionen Klicks, schließt das Unternehmen hinter der Videoplattform (z.B. Google bei Youtube) üblicherweise einen Vertrag mit den Akteuren, der eine gewisse Gewinnbeteiligung (z.B. 1-2 Euro pro 1000 Klicks) vorsieht und den Blogger zu weiteren Videos animieren soll. Mit diesem virtuellen Schauspiel verdienen die selbst ernannten „Youtube-Stars“ teilweise sogar viel Geld und hoffen womöglich auf noch mehr Bekanntheit in den Medien – oder ein Interview mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Einer dieser Youtube-Blogger hat es nun aber offensichtlich im vergangenen Jahr übertrieben und musste sich nun für seine Äußerungen vor Gericht verantworten.

Denn der 27-jährige Youtube-Blogger Julien S. veröffentlichte im Mai 2015 eines seiner regelmäßigen Videos auf seinem Video-Kanal, in welchem er sich zum erneuten Streik der Gewerkschaft für Lokführer (GDL) im öffentlichen Bahnverkehr ausließ. Wohl wissend die vereinzelte Wut einiger Bahnreisenden und Pendler aufzusaugen, beschimpfte er die Verantwortlichen der GDL mit folgenschweren Worten. So bezeichnete er die Gewerkschaftler nicht nur als „Hurensohn-Armee“ und „Drecksbastarde“, was für sich genommen wohl schon die Strafbarkeit der Beleidigung nach § 185 StGB begründen dürfte, sondern zog Vergleiche zur NS-Zeit. Unter anderem meinte er „vergasen sollte man die Mistviecher” und sprach sich sinngemäß dafür aus, sie gleich selber nach Ausschwitz fahren zu wollen. Passende Bilder vom Konzentrationslager in Ausschwitz soll er dabei in dem Videoclip gleich mitgeliefert haben, der rund 800.000 Aufrufe auf der Video-Plattform innerhalb von 4 Monaten generierte. Erst dann wurde es gelöscht.

Die Kunstfreiheit und das Strafrecht

Julien, der sich gern als Videokünstler bezeichnet, lebt von seinem Video-Kanal auf Youtube mit rund 1.3 Millionen Abonnenten und soll damit laut Prozessbeobachtern rund 90.000 Euro im Jahr 2014 verdient haben. Demnach ist es längst kein Hobby mehr. Und gewiss darf er sich auch bezüglich seiner virtuellen Monologe auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und auf die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen, sowie auch jeder andere Blogger, Journalist oder Redner im Web.

Aber ist es überhaupt Kunst, in seinem vermeintlich privaten Video-Kanal über irgendwelche Nachrichten, Kinofilme oder Lippenstifte zu reden?

Die Bestimmung des Kunstbegriffs ist umstritten. Fest steht nur, dass der Staat nicht bestimmen soll, was Kunst ist und was nicht; insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrfach die Kunstfreiheit als elementaren Bestandteil der demokratischen Grundordnung bezeichnet und klargestellt, dass sie einen sehr weiten Schutzbereich genießt und nur im Rahmen der so genannten „Wechselwirkungstheorie“ von anderen Grundrechten eingeschränkt werden darf.

Dabei wendet die Rechtsprechung den so genannten „materiellen Kunstbegriff“ an, nach welchem:

„das Wesentliche der künstlerischen Entscheidung (…) die freie schöpferische Gestaltung“ ist, „in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“ (BVerfGE 30, 173, 188).

 

Schließlich schützt auch die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht jedwedes Handeln und hat ihre Grenzen spätestens da, wo die Menschenwürde anderer verletzt sein könnte. Häufig führt dies im Medienrecht zur Kollision zwischen der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, welche die Gerichte durch eine umfassende Abwägung der Rechte und Interessen im konkreten Einzelfall aufzulösen haben.

Wie verhält es sich hier? In Betracht kommen die Verletzung der persönlichen Ehre und auch der Menschenwürde der angesprochenen Mitglieder und Verantwortlichen der GDL, die der Youtube-Blogger als „Mistviecher“, „Hurensöhne“ und „Drecksbastarde“ bezeichnet hat. Mit Wortwitz hat das wenig zu tun.

Zudem gilt es beispielsweise die strafbare Beleidigung nach § 185 StGB und die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen. Letzteres wird regelmäßig angenommen, wenn jemand im Internet, z.B. auf Facebook:

„in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert“.
(§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Derartige Konflikte zwischen dem hohen Gut der Kunst und dem Strafrecht wurden schon 2013 bei einem Song von deutschen Rapper Bushido erörtert, der in seinen Songs auf die gewohnte Art der „Ghetto Rapper“ mehrere Politiker und Prominente angriff.

Außerdem ist bei diesem fraglichen Youtube-Clip noch an § 130 Abs. 3 StGB zu denken gewesen, indem Julien das KZ in Auschwitz und das „Vergasen“ der Opfer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus durch seine Rede gebilligt bzw. verharmlost haben könnte.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach einer Strafanzeige

Nachdem einer der Zuschauer die Strafanzeige gegen Julien wegen dessen Aussagen zur GDL bei der Polizei eingereicht und die Staatsanwaltschaft sodann die Ermittlungen aufgenommen hatte, erließ das Amtsgericht Tecklenburg kürzlich einen Strafbefehl wegen der begangenen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB mit einer Bewährungsstrafe nebst Geldauflage in Höhe von 14.000 Euro. Der 27-Jährige Blogger konnte sich damit nicht abfinden und erhob Einspruch, woraufhin das Amtsgericht Tecklenburg die Hauptverhandlung eröffnete und Julien am vergangenen Mittwoch nach einer mehrstündigen Verhandlung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung und Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro verurteilte. Ob er hiergegen Rechtsmittel einlegen wird, ist derzeit unklar.

Der angeklagte Blogger versuchte sich anfänglich noch vor Gericht damit zu rechtfertigen, er spiele nur eine Art „Rolle“, und wollte auf andere prominente Schauspieler und Komiker hinweisen, die ebenfalls öffentliche Witze über die „Nazis“ und Hitler machten, wie z.B. Christoph Maria Herbst als Stromberg. Der Richter folgte dieser Argumentation jedoch nicht und kritisierte darüber hinaus das fehlende Unrechtsbewusstsein des Youtube-Bloggers, der bekanntermaßen mit seinen Videos auf sich Aufmerksam machen will.

Ein gerechtes Urteil?

Sind die Bewährungsstrafe nebst Geldstrafe für strafrechtlich relevante Aussagen in einem Internet-Video gerecht?

Die Entscheidung ist zu befürworten und sollte wohl ein Zeichen setzen. Nicht jedes Wort eines Komikers oder selbst ernannten „Youtube-Stars“ kann unter dem Deckmantel der „Kunstfreiheit“ für rechtlich zulässig erachtet werden. Mag jeder Zuschauer oder Leser einen anderen Humor haben und auch Hitler-Parodien wie jüngst mit dem Roman und anschließenden Kinofilm „Er ist wieder da“ noch als derbe oder grenzwertige Kunst bezeichnet werden, ist der Blogger Julien mit seiner gewählten Wortwahl deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Auch sein angebliches Argument, er wisse nicht, dass NS-Witze strafbar seien, kann wohl in der heutigen Zeit kaum greifen.

Im Gegensatz zu Schauspielern oder Komikern wie ein Christoph Maria Herbst oder Michael Kessler als „Hitler“ in der Satire-Sendung von Pro7 – Switch, die durch Übertreibungen der Nachahmung klar erkennbar als Satire wirken und auch selbst dann nicht mal im Entferntesten die Schreckenstaten in den KZs ansprechen, ist und bleibt ein Youtube-Star eine eher unbekannte Privatperson, die auch entgegen anderslautender Wahrnehmung gerade keine „Schauspielrolle“ einnimmt. Und auch der Vergleich mit dem umstrittenen Künstler Jonathan Meese hinkt, der sich wegen eines „Hitler-Grußes“ im Rahmen von Kunstausstellungen und Auftritten strafrechtlich verantworten musste.

Schließlich stellen diese Schauspieler und Künstler klar erkennbar eine fremde Person oder übertriebene Rolle bei öffentlichen Auftritten dar. Bei den Youtubern entsteht hingegen vielmehr der Eindruck, dass die Videos im privaten „Kinderzimmer“ alleine gedreht werden und so ein privater, tiefer Einblick in die Wohnung und Seele des Redners gewährt wird. Sie spiegeln offenkundig die persönliche Meinung des Autors wider. Vor Allem jüngere Zuschauer und Mitglieder in den sozialen Netzwerken dürften die Youtuber deshalb als private Persönlichkeiten oder „Bekannte“ ansehen und nicht als Schauspieler. Zumal die Videos im Gegensatz zu Filmen oder TV-Serien mit wenigen Klicks geteilt und ständig erneut angeschaut werden können und in den wenigsten Fällen Schutzvorkehrungen wie z.B. den Vorgaben der FSK hinsichtlich der Alterseinschränkungen unterliegen.

Vor diesem Hintergrund ist diese Verurteilung eine annehmbare Entscheidung des Gerichts.

Beitrag bewerten: 1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (10 Stimmen, Durchschnitt: 4,10 von 5)
Loading...