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Youtube-Blogger „Julien“ verurteilt – Wo sind die Grenzen der Kunstfreiheit?

Der Youtube-Blogger “Julien” S. (27) ist am Mittwoch vom Amtsgericht Tecklenburg wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung sowie Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro verurteilt worden. Zuvor hatte er in einem Youtube-Video im Mai 2015 die GDL beleidigt und einen Vergleich mit den Schreckenstaten der Nazi-Zeit gezogen.

Wer sich tagtäglich im Internet aufhält, dürfte den einen oder anderen Youtube-Blogger kennen. Diese werden zumeist dadurch berühmt, dass sie sich mit krassen oder jugendlichen Worten zu aktuellen Ereignissen an die Zuschauer wenden oder neue Spiele, Filme oder Produkte vorstellen, um auf diese Weise möglichst viele Klicks und Aufrufe zu genieren. Haben sie dann mehrere Millionen Klicks, schließt das Unternehmen hinter der Videoplattform (z.B. Google bei Youtube) üblicherweise einen Vertrag mit den Akteuren, der eine gewisse Gewinnbeteiligung (z.B. 1-2 Euro pro 1000 Klicks) vorsieht und den Blogger zu weiteren Videos animieren soll. Mit diesem virtuellen Schauspiel verdienen die selbst ernannten „Youtube-Stars“ teilweise sogar viel Geld und hoffen womöglich auf noch mehr Bekanntheit in den Medien – oder ein Interview mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Einer dieser Youtube-Blogger hat es nun aber offensichtlich im vergangenen Jahr übertrieben und musste sich nun für seine Äußerungen vor Gericht verantworten.

Denn der 27-jährige Youtube-Blogger Julien S. veröffentlichte im Mai 2015 eines seiner regelmäßigen Videos auf seinem Video-Kanal, in welchem er sich zum erneuten Streik der Gewerkschaft für Lokführer (GDL) im öffentlichen Bahnverkehr ausließ. Wohl wissend die vereinzelte Wut einiger Bahnreisenden und Pendler aufzusaugen, beschimpfte er die Verantwortlichen der GDL mit folgenschweren Worten. So bezeichnete er die Gewerkschaftler nicht nur als „Hurensohn-Armee“ und „Drecksbastarde“, was für sich genommen wohl schon die Strafbarkeit der Beleidigung nach § 185 StGB begründen dürfte, sondern zog Vergleiche zur NS-Zeit. Unter anderem meinte er „vergasen sollte man die Mistviecher” und sprach sich sinngemäß dafür aus, sie gleich selber nach Ausschwitz fahren zu wollen. Passende Bilder vom Konzentrationslager in Ausschwitz soll er dabei in dem Videoclip gleich mitgeliefert haben, der rund 800.000 Aufrufe auf der Video-Plattform innerhalb von 4 Monaten generierte. Erst dann wurde es gelöscht.

Die Kunstfreiheit und das Strafrecht

Julien, der sich gern als Videokünstler bezeichnet, lebt von seinem Video-Kanal auf Youtube mit rund 1.3 Millionen Abonnenten und soll damit laut Prozessbeobachtern rund 90.000 Euro im Jahr 2014 verdient haben. Demnach ist es längst kein Hobby mehr. Und gewiss darf er sich auch bezüglich seiner virtuellen Monologe auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und auf die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen, sowie auch jeder andere Blogger, Journalist oder Redner im Web.

Aber ist es überhaupt Kunst, in seinem vermeintlich privaten Video-Kanal über irgendwelche Nachrichten, Kinofilme oder Lippenstifte zu reden?

Die Bestimmung des Kunstbegriffs ist umstritten. Fest steht nur, dass der Staat nicht bestimmen soll, was Kunst ist und was nicht; insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrfach die Kunstfreiheit als elementaren Bestandteil der demokratischen Grundordnung bezeichnet und klargestellt, dass sie einen sehr weiten Schutzbereich genießt und nur im Rahmen der so genannten „Wechselwirkungstheorie“ von anderen Grundrechten eingeschränkt werden darf.

Dabei wendet die Rechtsprechung den so genannten „materiellen Kunstbegriff“ an, nach welchem:

„das Wesentliche der künstlerischen Entscheidung (…) die freie schöpferische Gestaltung“ ist, „in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“ (BVerfGE 30, 173, 188).

 

Schließlich schützt auch die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht jedwedes Handeln und hat ihre Grenzen spätestens da, wo die Menschenwürde anderer verletzt sein könnte. Häufig führt dies im Medienrecht zur Kollision zwischen der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, welche die Gerichte durch eine umfassende Abwägung der Rechte und Interessen im konkreten Einzelfall aufzulösen haben.

Wie verhält es sich hier? In Betracht kommen die Verletzung der persönlichen Ehre und auch der Menschenwürde der angesprochenen Mitglieder und Verantwortlichen der GDL, die der Youtube-Blogger als „Mistviecher“, „Hurensöhne“ und „Drecksbastarde“ bezeichnet hat. Mit Wortwitz hat das wenig zu tun.

Zudem gilt es beispielsweise die strafbare Beleidigung nach § 185 StGB und die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen. Letzteres wird regelmäßig angenommen, wenn jemand im Internet, z.B. auf Facebook:

„in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert“.
(§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Derartige Konflikte zwischen dem hohen Gut der Kunst und dem Strafrecht wurden schon 2013 bei einem Song von deutschen Rapper Bushido erörtert, der in seinen Songs auf die gewohnte Art der „Ghetto Rapper“ mehrere Politiker und Prominente angriff.

Außerdem ist bei diesem fraglichen Youtube-Clip noch an § 130 Abs. 3 StGB zu denken gewesen, indem Julien das KZ in Auschwitz und das „Vergasen“ der Opfer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus durch seine Rede gebilligt bzw. verharmlost haben könnte.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach einer Strafanzeige

Nachdem einer der Zuschauer die Strafanzeige gegen Julien wegen dessen Aussagen zur GDL bei der Polizei eingereicht und die Staatsanwaltschaft sodann die Ermittlungen aufgenommen hatte, erließ das Amtsgericht Tecklenburg kürzlich einen Strafbefehl wegen der begangenen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB mit einer Bewährungsstrafe nebst Geldauflage in Höhe von 14.000 Euro. Der 27-Jährige Blogger konnte sich damit nicht abfinden und erhob Einspruch, woraufhin das Amtsgericht Tecklenburg die Hauptverhandlung eröffnete und Julien am vergangenen Mittwoch nach einer mehrstündigen Verhandlung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung und Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro verurteilte. Ob er hiergegen Rechtsmittel einlegen wird, ist derzeit unklar.

Der angeklagte Blogger versuchte sich anfänglich noch vor Gericht damit zu rechtfertigen, er spiele nur eine Art „Rolle“, und wollte auf andere prominente Schauspieler und Komiker hinweisen, die ebenfalls öffentliche Witze über die „Nazis“ und Hitler machten, wie z.B. Christoph Maria Herbst als Stromberg. Der Richter folgte dieser Argumentation jedoch nicht und kritisierte darüber hinaus das fehlende Unrechtsbewusstsein des Youtube-Bloggers, der bekanntermaßen mit seinen Videos auf sich Aufmerksam machen will.

Ein gerechtes Urteil?

Sind die Bewährungsstrafe nebst Geldstrafe für strafrechtlich relevante Aussagen in einem Internet-Video gerecht?

Die Entscheidung ist zu befürworten und sollte wohl ein Zeichen setzen. Nicht jedes Wort eines Komikers oder selbst ernannten „Youtube-Stars“ kann unter dem Deckmantel der „Kunstfreiheit“ für rechtlich zulässig erachtet werden. Mag jeder Zuschauer oder Leser einen anderen Humor haben und auch Hitler-Parodien wie jüngst mit dem Roman und anschließenden Kinofilm „Er ist wieder da“ noch als derbe oder grenzwertige Kunst bezeichnet werden, ist der Blogger Julien mit seiner gewählten Wortwahl deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Auch sein angebliches Argument, er wisse nicht, dass NS-Witze strafbar seien, kann wohl in der heutigen Zeit kaum greifen.

Im Gegensatz zu Schauspielern oder Komikern wie ein Christoph Maria Herbst oder Michael Kessler als „Hitler“ in der Satire-Sendung von Pro7 – Switch, die durch Übertreibungen der Nachahmung klar erkennbar als Satire wirken und auch selbst dann nicht mal im Entferntesten die Schreckenstaten in den KZs ansprechen, ist und bleibt ein Youtube-Star eine eher unbekannte Privatperson, die auch entgegen anderslautender Wahrnehmung gerade keine „Schauspielrolle“ einnimmt. Und auch der Vergleich mit dem umstrittenen Künstler Jonathan Meese hinkt, der sich wegen eines „Hitler-Grußes“ im Rahmen von Kunstausstellungen und Auftritten strafrechtlich verantworten musste.

Schließlich stellen diese Schauspieler und Künstler klar erkennbar eine fremde Person oder übertriebene Rolle bei öffentlichen Auftritten dar. Bei den Youtubern entsteht hingegen vielmehr der Eindruck, dass die Videos im privaten „Kinderzimmer“ alleine gedreht werden und so ein privater, tiefer Einblick in die Wohnung und Seele des Redners gewährt wird. Sie spiegeln offenkundig die persönliche Meinung des Autors wider. Vor Allem jüngere Zuschauer und Mitglieder in den sozialen Netzwerken dürften die Youtuber deshalb als private Persönlichkeiten oder „Bekannte“ ansehen und nicht als Schauspieler. Zumal die Videos im Gegensatz zu Filmen oder TV-Serien mit wenigen Klicks geteilt und ständig erneut angeschaut werden können und in den wenigsten Fällen Schutzvorkehrungen wie z.B. den Vorgaben der FSK hinsichtlich der Alterseinschränkungen unterliegen.

Vor diesem Hintergrund ist diese Verurteilung eine annehmbare Entscheidung des Gerichts.

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LG Hamburg untersagt Facebook-Nutzer weitere Hass-Kommentare

Das Landgericht Hamburg hat per einstweiliger Verfügung einem Facebook-Nutzer untersagt, Beleidigungen gegenüber der ZFD-Moderatorin Dunja Hayali auf derer Facebook-Seite zu äußern. Im Falle der Zuwiderhandlung drohe dem Betroffenen ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Und es gibt bereits mehrere Verurteilungen vor den Strafgerichten wegen der Facebook-Hetze.

Die Journalistin Dunja Hayali ist es längst gewohnt, Opfer von Hass-Kommentaren und Beleidigungen im Internet wie auch auf der Straße zu werden. Für ihr Engagement gegen Rassismus und offenen Diskurs in der Flüchtlingsdebatte, muss sie tagtäglich mit krassen Anfeindungen leben. In TV-Sendungen sprach die Preisträgerin der Goldenen Kamera 2016 mehrfach über ihrem Umgang mit diesen Beleidigungen und wandte sich aktiv gegen die vermeintlichen Übeltäter.

Nun ließ sie durch ihren Anwalt eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht Hamburg erwirken, in welcher einem Facebook-Nutzer die Äußerung von solchen Hass-Kommentaren auf der Facebook-Seite der Journalistin untersagt wird. Der Klarname des Facebook-Mitglieds konnte anhand seines Nutzernamens ermittelt und so der Betroffene identifiziert werden, an den die einstweilige Verfügung mittlerweile zugestellt worden ist. Er hatte am 7. Januar dieses Jahres unter anderem die TV-Moderatorin als „ein dummes Stück Scheiße“ und „Gehirntote in der Merkelpropaganda“ bezeichnet und den Vergleich mit der Propaganda aus dem dritten Reich gezogen.

Die Nachricht ist deshalb erwähnenswert, weil diese einen der wenigen Fälle aufzeigt, in denen sich ein Prominenter gegen Hass-Kommentare und Beleidigungen in den sozialen Netzwerken gerichtlich zur Wehr setzt und trotz des hohen Guts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I Grundgesetz (GG) dem Äußernden derartige Aussagen untersagt werden.

Ungeachtet etwaiger strafrechtlicher Wege, wie beispielsweise die Anzeige wegen der strafbaren Beleidigung nach § 185 StGB, dürfte das zivilrechtliche Verfahren mit dem angedrohten Ordnungsgeld bereits eine abschreckende Wirkung erzielen. Ob sich die Nutzer dadurch von Anfeindungen und Drohungen abschrecken lassen, darf jedoch bezweifelt werden. Es bleibt festzustellen: Es wird dem Nutzer zu leichtgemacht, die Meinung auf Plattformen wie Facebook durch ein paar Klicks der Welt mitzuteilen und sich an den öffentlichen Streitigkeiten in Kommentaren oder auf Facebook-Seiten zu beteiligen.

Der Fall ist längst kein Einzelfall mehr. Trotzdem gibt es in der Praxis zahlreiche Schwierigkeiten in der Rechtsverfolgung. Denn in den meisten Fällen werden Hass-Kommentare und Beleidigungen unter einem Pseudonym auf Facebook veröffentlicht, anhand dessen den Opfern nur geringe Erfolgschancen auf die Identifizierung des vermeintlichen Täters eingeräumt sind. Zwar könnte das Unternehmen Facebook die IP-Adresse eines jeden Facebook-Nutzers rekonstruieren (was sie gewiss leugnen würden) und so unter Umständen der Anschlussinhaber mittels Provider ausfindig gemacht werden, doch gehen hiermit zu viele Unwägbarkeiten einher. Es müsste die Herausgabe der IP-Adresse durch Facebook richterlich angeordnet werden und gleichfalls auch die Herausgabe von Namen und Adresse des Anschlussinhabers durch den Provider. Voraussetzung hierfür ist immer, dass die IP-Adressen auf beiden Seiten überhaupt (noch) gespeichert und rekonstruiert werden können – also innerhalb von 7 Tagen bis 4 Wochen das Verfahren vollzogen wird. Das ist ein Zeitfenster, was nur selten einzuhalten ist.

Sofern diese Hürden bewältigt sind, könnte sich der Anschlussinhaber noch darauf berufen, selber gar nicht gehandelt zu haben. Zu guter Letzt müsste also noch das Handeln des Betroffenen nachgewiesen werden. Mit einem Rechtsanwalt oder Strafverteidiger sollte sich der Tatvorwurf unter Umständen entkräften lassen. Zumal der Richter überhaupt erst einmal zur Überzeugung gelangen muss, dass beispielsweise der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt ist und sich die fragliche Aussage nicht im zulässigen Bereich der Meinungsfreiheit bewegt.

Erste Verurteilungen wegen Hass und Hetze auf Facebook

Mittlerweile häufen sich diese Fälle: So ist vor wenigen Tagen ein 30-jähriger Mann aus Bayern vom Amtsgericht Wolfratshausen wegen der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Der vorbestrafte Mann versuchte sich vor Gericht zu rechtfertigen und argumentierte, er habe schlechte Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht.

Und im Oktober letzten Jahres verurteilte ein Amtsgericht eine 29-jährige Facebook-Nutzerin aus Berlin wegen der Volksverhetzung ebenfalls zu einer Bewährungsstrafe. Sie hatte Hetze gegen Flüchtlinge betrieben und unter anderem „Weg mit dem Dreck“ diesbezüglich geschrieben. Hier sah das Gericht die Schuld der jungen Frau für erwiesen an, nachdem sich die Angeklagte geständig einließ und zugab, sich im Ton vergriffen zu haben. Zuvor hatte schon das Amtsgericht Tiergarten im August 2015 einen Berliner zu einer Geldstrafe in Höhe von 4800 Euro wegen fremdenfeindlicher Hassbeiträge auf Facebook verurteilt.

Obwohl die Task-Force von Bundesjustizminister Heiko Maas gegen Fremdenhass und Hetze aktiv ist und auch Facebook die Unterstützung im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Hass zugesagt hat, sind gerichtliche Entscheidungen gegenüber den Hetzern angesichts der Unmengen an Kommentaren bzw. Beiträgen in den sozialen Netzwerken noch rar. Dies kann sich aber bald ändern. Gleichwohl muss eine Gesellschaft solch verschiedene Meinungen mit teils krasser Wortwahl aushalten, sofern die Aussagen unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit liegen. Bei Formulierungen wie „der Dreck muss weg“ oder gar dem Aufruf zur Brandstiftung oder Tötung ist selbstverständlich die Strafbarkeit anzunehmen.

Es bleibt abzuwarten, ob neben der möglichen Strafverfolgung noch weitere, erfolgsversprechende Systeme installiert werden, um Fremdenfeindlichkeit und Hetze in den sozialen Netzwerken einzugrenzen oder ganz zu unterbinden. Schließlich sollte es auch im Interesse des jeweiligen Seitenbetreibers liegen, niveaulose oder anstößige Inhalte zu verhindern. Facebook hingegen dürfte sich diese Vorfälle zu Nutze machen, um damit der Forderung nach der rechtlichen Zulässigkeit der angestrebten Klarnamenpflicht im sozialen Netzwerk weiter Nachdruck zu verleihen. Fraglich ist, ob das der richtige Weg ist?

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Dashcam-Urteil: Verwertbarkeit von Dashcam Videoaufzeichnungen im Strafverfahren

Wer seit Jahren viel auf der Videoplattform von Youtube unterwegs ist, dürfte die sogenannten „Dashcams“ kennen. Dies sind kleine Videokameras, die viele Autofahrer – zumeist im östlichen Teil Europas – auf ihrem Armaturenbrett oder am Rückspiegel angebracht haben, um vorherfahrende Verkehrsteilnehmer und somit den Straßenverkehr zu filmen. So sollen nicht nur Videosequenzen von Verkehrsunfällen aufgezeichnet werden, die wir später auf youtube wiederfinden, sondern auch Beweise für die Versicherungsunternehmen bei etwaigen Schadensabwicklungen gesammelt werden.

Die Polizei beispielsweise nutzt vergleichbare Kamerasysteme ohnehin seit Jahren, um auffällige Verkehrsteilnehmer und Geschwindigkeitsmessungen oder gefährliche Überholmanöver zu filmen.
Dennoch sind solch Dashcams hierzulande eher die Seltenheit und so ist es schon erwähnenswert, wenn sich erstmals mit dem AG Nienburg ein deutsches Gericht im Rahmen eines Strafverfahrens mit der Verwertbarkeit von Aufzeichnungen mittels Dashcam auseinandersetzt und sogar eine recht eindeutige Meinung vertritt (AG Nienburg, Urteil vom 20.01.2015, Aktenzeichen: 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14)).

Private Videoaufzeichnungen im Strafprozess als Beweis zulässig?

Der Hintergrund dieser Besonderheit ist, dass die Beweisverwertung von privaten Videoaufzeichnungen, die beispielsweise Diebe beim Einbruch oder den Nachbarn beim heimlichen Betreten des Gartens aufzeichnen, umstritten und ungeregelt ist nach der deutschen Strafprozessprozessordnung. Und auch dem Bundesdatenschutz (z.B. nach § 28 BDSG) unterfallen.

Die Verwertung von solchen Videobildern steht zwar nicht unter einem geschriebenen Beweisverwertungsverbot, gilt jedoch für viele als „relatives“ Beweisverwertungsverbot mit dem Ergebnis, dass eine Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse bzw. dem Interesse an der Funktionalität der Strafrechtspflege und den Rechten des Betroffenen vorzunehmen ist. Denn der Betroffene, zumeist der Beschuldigte, kann sich insbesondere auf sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I, Art. 1 I GG berufen, das auch sein Recht am eigenen Bild (z.B. ausgeprägt in § 22 KUG) sowie sein Recht auf „Informationelle Selbstbestimmung“, grob gesagt: seine Privatsphäre schützt. Werden nun ohne Kenntnis und gegen seinen Willen bewegte Bilder oder Fotos von ihm in der Öffentlichkeit durch Private aufgezeichnet und später als Beweis in einen Prozess eingeführt sowie verwertet, stellt dies selbstverständlich einen Eingriff in die Grundrechte dar. Denn der Einzelne soll sich grundsätzlich in der Öffentlichkeit frei bewegen dürfen und gerade nicht jederzeit damit rechnen müssen, von einer Videokamera privater Mitmenschen mit hochauflösenden Bildern beobachtet zu werden. Etwas anders sieht es an öffentlichen Plätzen aus, was hier jedoch nicht Gegenstand der Entscheidung ist.

Anders als bei Verfahren vor den Zivilgerichten, in welchen derartige Fälle rund um das Allgemeine Persönlichkeit vs. Meinungsfreiheit und Pressefreiheit seit über einem Jahrzehnt häufig verhandelt werden, sind diese Fragen im Strafprozess noch nicht abschließend geklärt. Und dies wird gewiss nach dieser Entscheidung weiterhin so bleiben, doch könnten die Urteilsausführungen ein (erster) kleiner Fingerzeig sein.

So heißt es in der „Dashcam-Entscheidung“ (AG Nienburg, Urteil vom 20.01.2015, Aktenzeichen: 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14):

„Die zulässig angefertigte Kameraaufzeichnung darf im Strafverfahren auch verwertet werden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Verwertung entgegenstünden. Hierbei kann ohne weiteres auf die allgemeinen Grundsätze zur Verwertbarkeit von Beweismitteln mit Spannungsbezug zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter zurückgegriffen werden (sogenannte Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts, vgl. bspw. BVerfG NJW 1990, 563, 564 – „Tagebuch“; BGH NJW 1996, 2940 = BGH, Beschluss vom 13.05.1996, GSSt 1/96 – „Hörfalle“; BGH NStZ 1998, 635; s.a. BAG, Beschluss vom 29.06.2004, 1 ABR 21/03 – „Videoüberwachung am Arbeitsplatz“). Da die Aufnahme Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr abbildet, ist der absolute Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Angeklagten nicht betroffen.

Das Gericht hat daher abzuwägen, ob im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der effektiven Strafverfolgung oder das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erwachsende Geheimschutzinteresse des Angeklagten überwiegt. Hierbei sind unter anderem die Schwere der angeklagten Tat, das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit, die Verfügbarkeit sonstiger Beweismittel und die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen.

Im Rahmen einer Gesamtschau überwiegt bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Angeklagten das allgemeine Interesse an der Effektivität der Strafverfolgung. Die Verwertung der Aufzeichnung ist erforderlich, da aufgrund der Unergiebigkeit der Zeugenaussagen keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen. Die Verwertung ist auch verhältnismäßig. Denn zum einen ist nicht der Angeklagte selbst, sondern nur sein Fahrzeug abgebildet. Ein zu berücksichtigender Verstoß gegen das KUG kommt also von Anfang an nicht in Betracht. Zum anderen bestand zum Zeitpunkt der Verwertung nach dem bisherigen Gang der Hauptverhandlung der dringende Verdacht, dass der Angeklagten im Falle eines Schuldspruchs zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt und ihm wegen fehlender Eignung die Fahrerlaubnis entzogen wird. Da diese Maßnahmen im konkreten Fall vor allem das Interesse aller Bürger an der zukünftigen Sicherheit des Straßenverkehrs schützen sollen, tritt das Recht des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung hier hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurück.“

Dashcam-Urteil: Kein Eingriff in die Privatsphäre

Wesentlich von Bedeutung soll es nach Lesart der Entscheidung gewesen sein, dass die streitgegenständlichen Aufzeichnungen die Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr darstellen, welcher juristisch der Öffentlichkeitsphäre und nicht der Privatsphäre im engeren Sinne oder gar der Intimsphäre zuzurechnen ist. Der „Kernbereich der persönlichen Lebensführung“ soll daher kaum bis gar nicht betroffen sein. Des Weiteren spielt es eine Rolle, ob die Kamera bzw. Dashcam grundsätzlich während der gesamten Autofahrt läuft oder eher bei Verdacht und kurz vor drohenden Rechtsgutverletzungen aktiviert wird. Es wird daher von einer „anlassbezogenen“ Kamera-Überwachung gesprochen. Inwiefern sich dies zukünftig technisch in zulässiger Weise umsetzen lässt, sei jetzt mal ausgeklammert.

Zudem wird bei der Abwägung der Interessen die Schwere der vorgeworfenen Straftat zu berücksichtigen sein, also ob lediglich ein vermeintliches Bagatelldelikt (Überholmanöver) oder ein Verbrechen im Raume steht (z.B. ein gezieltes Rammen eines anderen Autos mit Schädigungsabsicht).

Eine Einschränkung für zukünftige Fälle wird gleichwohl gemacht. Die Dashcams sollen nicht dafür verwendet werden, dass sich Private zum „Hilfssheriff“ aufschwingen, um auf diese Weise aktiv bei der Strafverfolgung mitzuwirken. Und geschäftliche Interessen des Fahrers sollen vermieden werden.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern sich weitere Gerichte dieser Entscheidung (Dashcam-Urteil) anschließen oder in eine andere Richtung vorstoßen. Vielleicht ist das Thema aber auch gar nicht so umstritten, wie von vielen immer gemeint.