„Keiner“ liest sie und dennoch hat sie eine riesige Auflage. Das gleiche gilt für den Internetauftritt, der mit rund 181 Millionen Visits im August 2015 (laut IVW) auf Platz 2 der gelisteten deutschen Online-Angebote im Internet landete. Die Rede ist von der BILD Zeitung bzw. www.bild.de.
Trotz dieser unglaublichen Besucherzahlen hat sich der Axel Springer Konzern nun überlegt, alle Nutzer eines Adblocker Programms auszusperren. Wer also bewusst oder unbewusst beispielsweise durch ein Antiviren-Programm die Popup-Werbung oder Werbe-Banner blockiert, kann erst einmal keine Nachrichten mehr auf dem Online-Angebot der BILD Zeitung lesen.
Mit dieser Aktion möchte die BILD Zeitung auf die signifikante Notwendigkeit von Online-Werbung für das Presseangebot hinweisen, denn die Werbe-Banner machen einen großen Anteil der Einnahmen aus.
„ „[..]Ihr Adblocker sperrt die Werbung auf BILD.de. Doch ohne Erlöse aus dem Verkauf von Werbeplätzen können wir die Arbeit unserer Journalisten nicht finanzieren.“
Ob und inwiefern sich BILD damit nicht sogar ins eigene Fleisch schneidet, sei mal dahingestellt. Denn bei einem deutlichen Einbruch der Besucherzahlen und Page-Impressions und insgesamt auch der Reichweite dürften die Werber und Werbekunden wenig zufrieden sein. Vielleicht sogar die Konditionen senken.
Top oder Flop?
Natürlich wird nun heftig über diesen Schritt der BILD-Zeitung diskutiert, die vor wenigen Wochen auch bei einer anderen Aktion für Aufsehen sorgte, als vorübergehend sämtliche Fotos gelöscht bzw. durch Platzhalter ersetzt worden sind, um auf diese Weise auf die besondere Bedeutung von Bildern für die Presse hinzuweisen. (Wir erinnern uns: Die BILD hat das Foto eines toten Flüchtlingskindes am Strand liegend großflächig dargestellt und mit einem aufreißerischen Text überschrieben. Die Redaktion erntete daraufhin scharfe Kritik vom Presserat).
Einige Kritiker der BILD-Zeitung sehen nach dieser Aktion nun einen weiteren Grund dafür, die Seite ohnehin nicht mehr besuchen zu wollen (müssen) und einige feiern die Aktion auch in den sozialen Netzwerken.
Andere springen der BILD nun (vermeintlich) zur Seite und klatschen virtuellen, zynischen Applaus oder erkennen hierin eine Signalwirkung.
wir sind alle Diebe 2.0
So meldet sich unter anderem der Blogger Felix Geyer gestern zur Wort und spricht in seinem Artikel „Adblocker-Nutzer begehen digitalen Diebstahl“ vom so genannten „Diebstahl 2.0“.
Hier vergleicht er das Online-Surfen mit einem Supermarkt-Einkauf. Der Benutzer rufe eine Leistung ab, ohne vorher um Bezahlung gegeben zu werden, so in etwa wie das Lesen einer Zeitung im Supermarkt oder Kiosk, ohne die Zeitung dann letztlich zu kaufen, sondern sie wieder ins Regal zurückzulegen.
„Vor Allem diejenigen, die dieses Geschäftsmodell verstanden haben und trotzdem (oder gerade deswegen!?) einen Werbeblocker im Einsatz haben, sind für mich die Diebe 2.0.
Nutznießer, die richtig Geld kosten, wissentlich Informationen stehlen und stolz darauf sind. Schade, dass der aktuelle Trend in Deutschland ist, eher gegen die Seitenbetreiber zu schießen und Ihnen mit absurden Auflagen das Leben schwer und teuer zu machen, auf der anderen Seite aber diesen digitalen Diebstahl zu dulden oder zu befürworten.“ (Felix Geyer)
Mir erscheint diese Argumentation wenig durchdacht. Denn zum einen gibt es wahnsinnig viele Möglichkeiten, mit einer Webseite auf legalem Wege Geld zu verdienen (Wie viele „BILD Volks-PC, Volks-Handy, Volks-Waschmaschine“ -Aktionen gibt es da ständig?) und zum anderen steht es jedem Presseangebot selbstverständlich frei, sich ein angemessenes Bezahlmodell zu überlegen und umzusetzen, so wie es das Hamburger Abendblatt vor geraumer Zeit oder auch der Axel Springer Konzern mit BILD Plus eingeführt hat. Dafür sollte der Leser auch hochwertige Artikel und eventuell Bonus-Inhalte erwarten dürfen. Häufig ist es aber eher so, dass Artikel, Fotos und sonstige Inhalte, die nicht über 3 Sätze hinausgehen, wiederverwertet wurden, also sowohl im Print als auch beim Online-Angebot. So wirklich viel Mehrwert sehe ich da nicht – mit Ausnahme von Live-Ticker und aktuellen News über den Tag verteilt. Aber das mag ja jeder anders sehen und vielleicht auch gerne die vielen tollen Fotos der halbnackten Frauen durchklicken und die Inhalte auf der Online-Seite der BILD als exklusiv und einzigartig empfinden.
Muss Information im Internet immer Geld kosten?
Zum anderen aber fußt die oben zitierte Meinung auf einen klaren Denkfehler: Und zwar auf den Gedanken, dass sämtliche Güter eine Gegenleistung verlangen. Ob nun den Preis von 79 Cent am Kiosk oder die Einblendung von Werbung. Und zu diesen Gütern zählt nicht nur Brot oder Wasser, sondern auch die virtuelle Information (Text, Bild, Ton). Wer dies nicht akzeptiert und respektiert, verhält sich – nach der oben beschriebenen Ansicht – wie ein (virtueller) Dieb. Nur um ein Dieb zu sein, bedarf es eine Wegnahme (und Enteignung des ursprünglichen Eigentümers bzw. Aneignung einer Sache). Und wo erfolgt die Enteignung? Bei der Aneignung von Wissen und Informationen?
Man mag nun gewiss prominente Internet-Aktivisten zitieren, die vom hohen Gut der Demokratie und dafür notwendigen unentgeltlichen und jedermann frei zugänglichen „Information“ sprechen. Das Internet muss frei „sein“, alles andere sei eine Zensur oder moderner Kapitalismus (oder eine Art der Ausbeutung?). Oder auch das Totschlag-Argument, „Im Internet muss alles umsonst sein“ könnte herangezogen werden.
Aber bei einem Geschäftsmodell, welches bereits ein Bezahlmodell beinhaltet und im Konzept klar auf möglichst hohe Reichweite, Klicks und „reißerische“ Überschriften bei gleichzeitig geringem Informationsgehalt setzt, geht in meinen Augen diese Argumentation der Generierung von notwendigen Einnahmen als Rechtfertigung für die journalistische Arbeit fehl. Erst recht dann, wenn ein Großteil der Inhalte ohnehin mehrfach verwertet wird oder klar auf möglichst viele Klicks fokussiert sind.
Und auch das Presseportal oder allgemein: Jeder Blogger lebt von seinen Lesern. Denn ohne Besucher, keine Klicks, keine Banner, keine Einnahmen, kein Job. Klingt brutal, ist aber so.
Und wo liegt der Schaden oder Mehrbelastung bei dem Seitenbetreiber, der ohnehin Inhalte im Internet anbietet, wenn die Nutzer die Ads ausblenden? Bei den Mehrkosten durch die Seitenbesuche der nicht-zahlenden Nutzer?
Ungeachtet dessen „zahlen“ wir Bürger ohnehin seit Jahren mit unseren „Daten“ im Internet, die bei dem Klick im Internet im Hintergrund fleißig gesammelt und von Server zu Server gesendet werden, bis das Puzzle zusammengesetzt wird. Wie sonst wäre Facebook und Google zu dem geworden, zu dem sie nun geworden sind: Weltmarktführer auf einem (zweifelhaften) Geschäftsmodell basierend auf Einnahmen durch personalisierte Werbung, womit wir uns wieder im Kreis drehen. Die Gleichung für die Zeitung wie BILD bedeutet: Um jeden Preis, Besucher erreichen und Geld generieren! Aber ob mit der angewandten Methode tatsächlich ein Schaden abgewendet wird oder der Nutzer am Ende durch Blockade die Oberhand behält und BILD wieder einknickt, wird sicherlich die Zeit zeigen.
Nur am Rande bemerkt: Die BILD-Aktion führte zu einer vorher sicherlich nicht bedachten Sympathiewelle und Spendenbereitschaft für Adblock Unternehmen wie z.B. Eyeo, die den Werbeblocker „AdBlock Plus“ programmieren und verkaufen. Denn wie dieser heute meldete, haben sich die Spenden für das Projekt nahezu verdreifacht in den letzten Tage.
Wahrscheinlich sieht es bei den Zahlen von bild.de anders aus.
Was meint ihr? Sehen wir ein neues „Internetzeitalter“ oder nur eine missglückte PR-Kampagne?