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Dashcam-Urteil: Verwertbarkeit von Dashcam Videoaufzeichnungen im Strafverfahren

Wer seit Jahren viel auf der Videoplattform von Youtube unterwegs ist, dürfte die sogenannten „Dashcams“ kennen. Dies sind kleine Videokameras, die viele Autofahrer – zumeist im östlichen Teil Europas – auf ihrem Armaturenbrett oder am Rückspiegel angebracht haben, um vorherfahrende Verkehrsteilnehmer und somit den Straßenverkehr zu filmen. So sollen nicht nur Videosequenzen von Verkehrsunfällen aufgezeichnet werden, die wir später auf youtube wiederfinden, sondern auch Beweise für die Versicherungsunternehmen bei etwaigen Schadensabwicklungen gesammelt werden.

Die Polizei beispielsweise nutzt vergleichbare Kamerasysteme ohnehin seit Jahren, um auffällige Verkehrsteilnehmer und Geschwindigkeitsmessungen oder gefährliche Überholmanöver zu filmen.
Dennoch sind solch Dashcams hierzulande eher die Seltenheit und so ist es schon erwähnenswert, wenn sich erstmals mit dem AG Nienburg ein deutsches Gericht im Rahmen eines Strafverfahrens mit der Verwertbarkeit von Aufzeichnungen mittels Dashcam auseinandersetzt und sogar eine recht eindeutige Meinung vertritt (AG Nienburg, Urteil vom 20.01.2015, Aktenzeichen: 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14)).

Private Videoaufzeichnungen im Strafprozess als Beweis zulässig?

Der Hintergrund dieser Besonderheit ist, dass die Beweisverwertung von privaten Videoaufzeichnungen, die beispielsweise Diebe beim Einbruch oder den Nachbarn beim heimlichen Betreten des Gartens aufzeichnen, umstritten und ungeregelt ist nach der deutschen Strafprozessprozessordnung. Und auch dem Bundesdatenschutz (z.B. nach § 28 BDSG) unterfallen.

Die Verwertung von solchen Videobildern steht zwar nicht unter einem geschriebenen Beweisverwertungsverbot, gilt jedoch für viele als „relatives“ Beweisverwertungsverbot mit dem Ergebnis, dass eine Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse bzw. dem Interesse an der Funktionalität der Strafrechtspflege und den Rechten des Betroffenen vorzunehmen ist. Denn der Betroffene, zumeist der Beschuldigte, kann sich insbesondere auf sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I, Art. 1 I GG berufen, das auch sein Recht am eigenen Bild (z.B. ausgeprägt in § 22 KUG) sowie sein Recht auf „Informationelle Selbstbestimmung“, grob gesagt: seine Privatsphäre schützt. Werden nun ohne Kenntnis und gegen seinen Willen bewegte Bilder oder Fotos von ihm in der Öffentlichkeit durch Private aufgezeichnet und später als Beweis in einen Prozess eingeführt sowie verwertet, stellt dies selbstverständlich einen Eingriff in die Grundrechte dar. Denn der Einzelne soll sich grundsätzlich in der Öffentlichkeit frei bewegen dürfen und gerade nicht jederzeit damit rechnen müssen, von einer Videokamera privater Mitmenschen mit hochauflösenden Bildern beobachtet zu werden. Etwas anders sieht es an öffentlichen Plätzen aus, was hier jedoch nicht Gegenstand der Entscheidung ist.

Anders als bei Verfahren vor den Zivilgerichten, in welchen derartige Fälle rund um das Allgemeine Persönlichkeit vs. Meinungsfreiheit und Pressefreiheit seit über einem Jahrzehnt häufig verhandelt werden, sind diese Fragen im Strafprozess noch nicht abschließend geklärt. Und dies wird gewiss nach dieser Entscheidung weiterhin so bleiben, doch könnten die Urteilsausführungen ein (erster) kleiner Fingerzeig sein.

So heißt es in der „Dashcam-Entscheidung“ (AG Nienburg, Urteil vom 20.01.2015, Aktenzeichen: 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14):

„Die zulässig angefertigte Kameraaufzeichnung darf im Strafverfahren auch verwertet werden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Verwertung entgegenstünden. Hierbei kann ohne weiteres auf die allgemeinen Grundsätze zur Verwertbarkeit von Beweismitteln mit Spannungsbezug zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter zurückgegriffen werden (sogenannte Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts, vgl. bspw. BVerfG NJW 1990, 563, 564 – „Tagebuch“; BGH NJW 1996, 2940 = BGH, Beschluss vom 13.05.1996, GSSt 1/96 – „Hörfalle“; BGH NStZ 1998, 635; s.a. BAG, Beschluss vom 29.06.2004, 1 ABR 21/03 – „Videoüberwachung am Arbeitsplatz“). Da die Aufnahme Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr abbildet, ist der absolute Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Angeklagten nicht betroffen.

Das Gericht hat daher abzuwägen, ob im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der effektiven Strafverfolgung oder das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erwachsende Geheimschutzinteresse des Angeklagten überwiegt. Hierbei sind unter anderem die Schwere der angeklagten Tat, das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit, die Verfügbarkeit sonstiger Beweismittel und die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen.

Im Rahmen einer Gesamtschau überwiegt bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Angeklagten das allgemeine Interesse an der Effektivität der Strafverfolgung. Die Verwertung der Aufzeichnung ist erforderlich, da aufgrund der Unergiebigkeit der Zeugenaussagen keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen. Die Verwertung ist auch verhältnismäßig. Denn zum einen ist nicht der Angeklagte selbst, sondern nur sein Fahrzeug abgebildet. Ein zu berücksichtigender Verstoß gegen das KUG kommt also von Anfang an nicht in Betracht. Zum anderen bestand zum Zeitpunkt der Verwertung nach dem bisherigen Gang der Hauptverhandlung der dringende Verdacht, dass der Angeklagten im Falle eines Schuldspruchs zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt und ihm wegen fehlender Eignung die Fahrerlaubnis entzogen wird. Da diese Maßnahmen im konkreten Fall vor allem das Interesse aller Bürger an der zukünftigen Sicherheit des Straßenverkehrs schützen sollen, tritt das Recht des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung hier hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurück.“

Dashcam-Urteil: Kein Eingriff in die Privatsphäre

Wesentlich von Bedeutung soll es nach Lesart der Entscheidung gewesen sein, dass die streitgegenständlichen Aufzeichnungen die Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr darstellen, welcher juristisch der Öffentlichkeitsphäre und nicht der Privatsphäre im engeren Sinne oder gar der Intimsphäre zuzurechnen ist. Der „Kernbereich der persönlichen Lebensführung“ soll daher kaum bis gar nicht betroffen sein. Des Weiteren spielt es eine Rolle, ob die Kamera bzw. Dashcam grundsätzlich während der gesamten Autofahrt läuft oder eher bei Verdacht und kurz vor drohenden Rechtsgutverletzungen aktiviert wird. Es wird daher von einer „anlassbezogenen“ Kamera-Überwachung gesprochen. Inwiefern sich dies zukünftig technisch in zulässiger Weise umsetzen lässt, sei jetzt mal ausgeklammert.

Zudem wird bei der Abwägung der Interessen die Schwere der vorgeworfenen Straftat zu berücksichtigen sein, also ob lediglich ein vermeintliches Bagatelldelikt (Überholmanöver) oder ein Verbrechen im Raume steht (z.B. ein gezieltes Rammen eines anderen Autos mit Schädigungsabsicht).

Eine Einschränkung für zukünftige Fälle wird gleichwohl gemacht. Die Dashcams sollen nicht dafür verwendet werden, dass sich Private zum „Hilfssheriff“ aufschwingen, um auf diese Weise aktiv bei der Strafverfolgung mitzuwirken. Und geschäftliche Interessen des Fahrers sollen vermieden werden.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern sich weitere Gerichte dieser Entscheidung (Dashcam-Urteil) anschließen oder in eine andere Richtung vorstoßen. Vielleicht ist das Thema aber auch gar nicht so umstritten, wie von vielen immer gemeint.