Social Media Recht – Der richtige Umgang mit den sozialen Netzwerken wie Facebook, twitter und Snapchat

In nahezu allen größeren Live-Sendungen im deutschen Fernsehen wird auf die sozialen Netzwerke, insbesondere auf Facebook oder twitter verwiesen. Die Zuschauer sollen ihre Meinung abgeben und so mit der Moderation oder unter sich kommunizieren. Selbst über den Tatort soll „getwittert“ werden. Aber auch viele Prominente, gleich ob Profisportler oder Schauspieler, sind bereits seit längerem auf Facebook mit ihrer eigenen Seite vertreten. Einige beschränken sich dabei auf Beiträge zu ihren beruflichen Tätigkeiten, andere geben tiefe Einblicke in ihr Privatleben. Der deutsche Sportmoderator Frank „Buschi“ Buschmann ist sogar während der von ihm als Co-Moderator begleitenden Pro7 Sendung mit seinem Smartphone aktiv und gibt seinen Fans auf Facebook einen zusätzlichen Einblick aus der Reporterkabine.

Diese Nähe zu den Zuschauern und vermeintlichen „Fans“ auf Facebook, Snapchat oder twitter hat natürlich auch Schattenseiten, wie es beispielsweise die TV-Moderation und Journalistin Dunja Hayali fast tagtäglich erfahren muss. Die sich deutlich gegen Fremdenhass aussprechende junge Frau wird nicht nur wegen ihrer irakischen Herkunft, sondern auch für ihr Engagement für eine weltoffene Gesellschaft immer wieder Opfer von Beleidigungen und Hassbotschaften.

Doch nicht nur Personen, sondern auch Unternehmen werden schnell Opfer von Shitstorms, wenn z.B. irgendwo in einer Filiale ein Haar in der Suppe gefunden wird, das Funknetz wieder einmal down ist oder das erwartete Paket tagelang in einer Halle verweilt. Grund für die Unzufriedenheit kann natürlich ein schlechter Service sein oder die Nichteinhaltung von versprochener Leistung.
Die Social Media Aktivitäten können positive Publicity bringen, gehen jedoch auch mit rechtlichen Risiken und Gefahren einher. Daran anknüpfend stellen sich für Unternehmen sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens etliche Fragen in der Praxis:

  • Sollte man überhaupt auf Facebook, twitter und Co. präsent und aktiv sein?
  • Sollten sich die Beiträge bzw. Inhalte auf berufliche Themen beschränken oder doch lieber der
  • Einblick in das Privatleben gewährt werden? Wo sind die Grenzen?
  • Wie ist es mit politischen Themen?
  • Wie geht man am besten um, wenn sich „Fans“ und User gegenseitig beleidigen oder ein Shitstorm droht?
  • Wie ist es mit persönlichen, strafbaren Beleidigungen? Sollte man eine Strafanzeige stellen?
  • Und wer haftet für „eigene oder fremde“ Beiträge?

Hierfür gibt es gewiss keine Musterlösung. Vieles muss der Betroffene oder das Unternehmen selber entscheiden und ausloten. Es hängt auch davon ab, wie viel Zeit und Kraft jeweils in die Social Media Aktivitäten gesteckt werden und welche Rolle diese Instrumente spielen sollen. Bleibt es bei der Selbstdarstellung oder Eigenwerbung oder soll ein Produktverkauf angekurbelt werden? Möchte man sogar vielleicht neue Jobs und Aufträge ergattern und daher den Medien „im Kopf“ bleiben?

Promis und Schauspieler in den sozialen Netzwerken

Viel so genannte Promis zeigen sich gern möglichst privat auf ihrem Facebook Profil und veröffentlichen Urlaubsbilder oder Fotos beim Feiern in der Mannschaftskabine, um eine Nähe zu den Fans vorzuspielen. Selbstverständlich sollte angesichts von Persönlichkeitsrechten und Privatsphäre irgendwo eine Grenze gezogen werden. Dies dient letztlich auch dem Schutz des Betroffenen. Die genaue Anschrift, Fotos aus dem Wohnzimmer oder von Kindern sollten grundsätzlich nicht im Internet veröffentlicht werden. Auch bei der persönlichen Meinung scheiden sich schnell die Geister. Wer sich immer mit einer deutlichen Meinung äußert, muss im Internet auch mit Gegenmeinungen oder gar Anfeindungen leben. Dies gilt umso mehr für politische Themen.

Trotz aller „journalistischer Objektivität“ äußert Frank Buschmann oftmals klar seine persönliche Meinung, wofür ihn viele schätzen – aber auch manchmal leichte Kritik aufkommt. So versucht auch er sich daraufhin noch einmal zu rechtfertigen:

Frank Buschmann auf Facebook (Screenshot: 11.05.2016)
Frank Buschmann auf Facebook (Screenshot: 11.05.2016)

Für die berühmten Persönlichkeiten wird es jedenfalls dann heikel, wenn sie sich abseits von ihrer Person oder Tätigkeit zu gesellschaftlichen oder politischen Themen äußern. Dann mag angesichts drohender, hitziger Debatten auf Facebook die Thematik aus dem Ruder laufen und in den Hintergrund treten.

Natürlich spielt diesbezüglich auch die Meinungsfreiheit im Internet eine große Rolle. Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit und wann drohen strafrechtliche Folgen? Damit mussten sich in den vergangenen Wochen und Monaten viele Gerichte hierzulande befassen. So kam es beispielsweise zu Verurteilungen wegen Volksverhetzung oder strafbaren Beleidigungen.

Unternehmen und Behörden

Für Unternehmen oder Behörden, die sich aktiv mit einem offiziellen Auftritt in den sozialen Medien der Allgemeinheit stellen, empfiehlt es sich so genannte Social Media Richtlinien bzw. Social Media Guidelines zu erstellen. Darin sollten Regelung für das Verhalten der Mitarbeiter und Angestellten enthalten sein, wie auch viele rechtliche Fragestellungen geklärt werden. Insgesamt wird so mehr Rechtssicherheit für das Unternehmen oder die Behörde erreicht.

Welche Fragen in ein Social Media Guide gehören und wie eine Musterformular aussehen kann, können unter „Social Media Richtlinien – Social Media Guidelines“ nachgelesen werden. Selbstverständlich obliegt dies immer der jeweiligen Philosophie und Ausrichtung des Unternehmens. Doch im Kern unterscheiden sich die grundlegenden Regelungen kaum.

Viele Unternehmen setzen bereits auf vergleichbare interne Regelungen, um für Klarheit zu sorgen. Letztlich sollte dies auch als eine gute Hilfestellung für die Mitarbeiter gesehen werden.

Und wie sieht es in der Praxis der Social Media Agenturen aus, die für Kunden oder im Rahmen von Projekten dann Unternehmen Strategien und Konzepte entwickeln oder sogar eigenhändig umsetzen?

[title size=“2″]Interview mit der Expertin Anja Reimers[/title]

Zu diesem Thema führte ich ein Interview mit Anja Reimers, Projekt Managerin Digital aus Hamburg (XING-Kontakt). Sie hat bereits für mehrere Unternehmen bzw. bei Agenturen aus Hamburg im Bereich „Social Media“ mitgewirkt und kennt die Schwierigkeiten im alltäglichen Umgang mit den sozialen Netzwerken, die individuelle Lösungen und Konzepte im digitalen Bereich erfordern.


Frage: Wie wichtig ist es heutzutage für ein modernes Unternehmen, auf den sozialen Kanälen wie Facebook oder Instagram präsent und aktiv zu sein?

Anja Reimers: Je nach Zielgruppe kann die Nutzung von sozialen Media essential sein. Ist die Anspruchsgruppe des Unternehmens über soziale Media erreichbar? Meistens schon. Dann ist es nur die Frage, auf welcher Plattform genau. Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat oder vielleicht sogar Xing und LinkedIn. Es gibt viele Optionen, wo sich potentielle Kunden aufhalten können. Dies herauszufinden ist ein wichtiger Teil der Strategie, die definitiv jedes Unternehmen vorher festlegen muss.
Wenn das Unternehmen weiß, über welche Plattform sie ihre potentiellen Kunden erreichen können, gibt es viele Möglichkeiten, dies zu nutzen. Unternehmen sollten sich nur von dem Gedanken verabschieden, dass Facebook der Mittelpunkt aller Aktivitäten ist. Facebook kann es sein, muss es aber nicht. Die jeweilige Zielgruppe entscheidet.


Viele Unternehmen haben – wie du selbst sagtest – einen Social Media Account und legen einfach mal drauf los. Aber wie wichtig ist es, eine genaue Social Media Strategie zu haben?

Einfach mal ein Facebook-Profil erstellen, weil das gerade alle tun, ist der falsche Weg. Wichtig ist vorab zu definieren, welche Zielgruppe angesprochen werden soll, wo diese Zielgruppe aktiv ist, was genau mit dem Profil erreicht werden soll (Zieldefinition), welcher Content das Profil zum Leben erwecken soll, wie mit den Fans und Followern interagiert werden soll und wie stark diese evtl. auch in Entscheidungen mit einbezogen werden können, wie der Erfolg gemessen wird, etc.

Ebenso wichtig ist die Frage, wer die sozialen Kanäle betreut, also Content erstellt, mit Usern interagiert usw. Ein großer Fehler hierbei ist leider immer noch, dass dies als „Praktikanten-Tätigkeit“ abgetan wird, obwohl viel mehr dahintersteckt. Schließlich handelt es sich auch hierbei um einen Teil von Unternehmenskommunikation, nur eben der über soziale Medien und näher am Kunden.
Wenn ein Unternehmen eine konkrete Strategie verfolgt, deren Ziele auf einer bestimmten Plattform erreicht werden können, ist dies eine tolle Möglichkeit für Unternehmen und Kunden gleichzeitig. Was vermieden werden sollte, ist das so genannte Content-Recycling. Also bitte nicht einfach Texte kopieren und auf mehreren Plattformen nutzen. Wie bereits erwähnt, jeder soziale Kanal hat eine eigene Zielgruppe, an die gedacht und adressiert werden muss.


Die größeren Unternehmen arbeiten mittlerweile mit sogenannten  „Social Media Guidelines“ bzw. Social Media Richtlinien, in denen sie unter anderem den korrekten Umgang der Mitarbeiter mit den Social Media Accounts regeln. Diese beinhalten Fragen wie: Wem gehört der Account, wer darf ihn verwalten, was dürfen die Mitarbeiter sagen und was nicht? Hast du auch dergleichen genutzt und welche Erfahrung konntest du damit machen?

Die Regelung, wem der Account gehört, sollte ganz einfach sein: Dem Unternehmen.

Vor einigen Jahren war dies auf Facebook noch sehr umständlich und jeder musste mit seinem persönlichen Account als Administrator für die Seite hinterlegt werden. Es gab immer wieder Schwierigkeiten, wenn Mitarbeiter gekündigt haben bzw. wurden. Plus: Die Person, die eine Facebook-Page angelegt hat, wurde nochmals besonders hinterlegt. Spricht: Wenn der Gründer der Facebook-Page nicht mehr für das Unternehmen gearbeitet hat, ist meistens ein großes Chaos entstanden.

Über den jetzt verfügbaren Facebook Business Manager ist nun alles viel einfacher. Mitarbeiter können hinzugefügt oder gelöscht werden, Rechte werden hinzugefügt oder entfernt. Diese Professionalisierung macht den Arbeitsalltag wesentlich einfacher. Bei anderen Plattformen, wie bspw. Twitter, ist es ratsam einen allgemeinen Account zu nutzen, der nicht Mitarbeiter-bezogen ist, falls dieser das Unternehmen verlässt.

Guidelines machen die Arbeit mit Social Media Netzwerken auf jeden Fall einfacher, wenn es um bspw. allgemeine Regelungen geht (wer tut was), wie schnell geantwortet werden muss oder allgemein verwendete FAQs. Ebenfalls sinnvoll ist das Festhalten von Regelungen in Krisenzeiten oder wie mit Negativität umzugehen ist. Hierbei ist es wichtig zu klären, wer was wann mit wem absprechen muss, welche Aussagen getätigt werden dürfen etc. Von daher ist die Nutzung von Guidelines ratsam. Diese sollten nur den Social Media Manager nicht in seiner Arbeit einschränken, sondern eher entlasten.


Worauf sollte denn geachtet werden, also was müsste jedenfalls in solchen Richtlinien enthalten sein? Und wie ist es mit der Umsetzung?

Wichtige Inhalte sollten sein: Allgemeine FAQs, Abstimmungswege, Antwortzeiten, Berechtigungen der einzelnen Mitarbeiter, Wording („Du“ vs. „Sie“), Do’s (Ehrlichkeit, Wahrheit), Don’ts (z.B. Aussagen gegen die Konkurrenz, Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen, Falschaussagen, Beleidigungen), rechtliche Bestimmungen oder Beschlüsse und Hausregeln der jeweiligen Plattformen (was wird geduldet, was nicht?).


Angesichts von ständig drohenden Shitstorms und rechtlichen Auseinandersetzungen – sind solche Regelungen nicht sogar mittlerweile notwendig für ein Unternehmen? Sowohl bei der Agentur als erst Recht auch bei einem Unternehmen, das eine eigene Social Media Abteilung hat?

Unternehmen können sich durch die Nutzung von Social Media Guidelines absichern, so dass alle Beteiligten, ob interne Mitarbeiter, Agenturen oder Freelancer, genau wissen, wie zu handeln ist. Eine Garantie, dass dies Shitstorms vermeidet, gibt es leider nicht, aber das Risiko wird dadurch vermindert. Jedoch sollte die Angst vor potentiellen Shitstorms nicht die Kreativität der Beteiligten einschränken. Viel zu viele gute Ideen wurden bereits im Keim erstickt, weil auf Unternehmensseite die Angst zu groß war. Manchmal kommt dann aber tatsächlich ein Konkurrent mit einer ähnlichen Idee daher und wird dafür mit Reichweite und Engagement belohnt. Von daher: Guidelines sind hilfreich, aber sie sollten noch genügend Spielraum für kreative Ideen und spontane Aktionen lassen.


Wie weit sollten also Juristen mitwirken bei der Social Media Strategie oder etwaigen parallel dazu laufenden Konzepten/Schulungen? Oder stecken wir diesbezüglich noch in den Kinderschuhen?

Meiner Meinung nach ist es sinnvoll, einen beratenden Juristen bei der Entstehung von Social Media Strategien mit ins Projektteam zu holen. Potentiell kritische Punkte können so von Anfang an in den Guidelines festgelegt werden, sodass es später nicht zu rechtlichen Überraschungen kommt. Da es aber besonders im digitalen Zeitalter viele Gesetzesanpassungen oder –Änderungen gibt, ist es ebenfalls wichtig, dass diese ggf. vom gleichen Juristen permanent verfolgt werden, sodass die Guidelines im Zweifelsfall zeitnah angepasst werden können.

Dies wird in meinen Augen derzeit zu wenig bis gar nicht realisiert. Viele Social Media Manager bilden sich regelmäßig auf diesem Gebiet weiter, was richtig und gut ist. Jedoch, besonders für große Konzerne, sollte die Investition in einen juristischen Berater mindestens in der Strategieentwicklungsphase getätigt werden, um spätere Schädigungen zu vermindern oder gar vorzubeugen. Zusätzlich kann es hilfreich sein, dass Juristen regelmäßig Schulungen zu rechtlichen Aspekten im Social Web geben, besonders wenn es gerade Anpassungen oder Änderungen gegeben hat.


Wie siehst du die Zukunft vom Social Media? Sollten Schauspieler, Sportler und Politiker immer mehr auf den sozialen Kanälen aktiv werden und so einen privaten Einblick gewähren oder gibt es gewisse Grenzen, unter anderem in der Privatsphäre?

Wie viel privaten Einblick eine Person im Social Web von sich gibt, sollte jedem selbst überlassen sein. Egal ob Schauspieler, Politiker oder die Dame aus der Bäckerei nebenan. Kein Dritter sollte das Recht haben, zu bestimmen, wie viel privater Content auf einer sozialen Plattform veröffentlicht wird. Personen des öffentlichen Lebens sind (meistens) für etwas bekannt, was sie besonders gut können. Alles, was über diese berufliche Informationsweitergabe hinausgeht, ist freiwillig. Dies variiert von Person zu Person, ob bspw. nichts Persönliches veröffentlicht wird (z.B. Stefan Raab) oder ob das ganze Leben digital festgehalten wird (z.B. Kim Kardashian). Besonders in Zeiten von Snapchat, womit ein Promi seine Fans mit in alltägliche Situationen nehmen kann, ist hier die Fan-Promi-Bindung wesentlich höher als noch vor Jahren. Die Person muss dies aber mit sich vereinbaren können und nur das veröffentlichen, was sie auch wirklich öffentlich stehen haben möchten. Druck von außen sollte es meiner Meinung nach nicht geben, jeder hat das Recht seine eigene Privatsphäre zu wahren.

Vielen Dank für das Interview.

 

Weiterführende Artikel:

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LG Hamburg untersagt Böhmermann die erneute Wiedergabe von Teilen des Gedichts

Während vielerorts noch über die vergangene ZDF „Neo Magazin Royale“-Sendung mit Jan Böhmermann und dessen neuesten „Coup“ (#verafake) diskutiert wird, musste der 35-jährige Journalist und Satiriker vor wenigen Stunden wegen des umstrittenen Gedichts „Schmähkritik“ eine erste juristische Niederlage hinnehmen. Wie geht es jetzt weiter?

Seit heute gibt es einen juristischen Erfolg für Recep Tayyip Erdogan. So konnte der türkische Staatspräsident nun durch seinen Rechtsanwalt Hubertus von Sprenger laut Medienberichten vor der Pressekammer am Landgericht (LG) Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen Jan Böhmermann erwirken (LG Hamburg, Beschluss vom 17.05.2016, Az.: 324 O 255/16). Der Beschluss sieht unter anderem vor, dass dem Satiriker die erneute Wiedergabe weiter Teile des Gerichts untersagt wird.

Die Pressekammer am Landgericht Hamburg bewertet das fragliche Gedicht zwar in seiner Gesamtheit als Satire und sieht somit auch den Schutzbereich der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG)) eröffnet, betont jedoch, dass viele Passagen des Stückes einen schmähenden und ehrverletzenden Charakter haben, die das türkische Staatsoberhaupt nicht hinzunehmen brauche. Dabei nahm sich das Gericht im Rahmen der Interessenabwägung zwischen der Kunstfreiheit auf Seiten des TV-Moderators und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) des türkischen Staatspräsidenten augenscheinlich jede einzelne Zeile des Erdogan-Gedichts vor.

Einige wenige Textpassagen erachtet die Pressekammer sogar für zulässig, da diese sich mit Kritik an der politischen Person Erdogan und dessen Umgang mit der Meinungsfreiheit im eigenen Lande auseinandersetze und somit einen sachlichen Bezug habe. Dies fehle jedoch bei den Anspielungen auf rein sexuelle Handlungen des türkischen Staatsoberhaupts oder dessen Genitalien. Hier sei die Grenze der zulässigen Satire jedoch überschritten worden, wie es von viele Juristen (und auch in diesem Blog) vorhergesehen wurde.

Konkret heißt es in der heutigen Mitteilung des Pressekammer am LG Hamburg:

„In Form von Satire geäußerte Kritik am Verhalten Dritter finde ihre Grenze, wo es sich um eine reine Schmähung oder eine Formalbeleidigung handele bzw. die Menschenwürde angetastet werde.
Diese Grenze sei nach Auffassung der Kammer durch bestimmte Passagen des Gedichts überschritten, die schmähend und ehrverletzend seien. Zwar gelte für die Einkleidung eines satirischen Beitrages ein großzügiger Maßstab, dieser berechtige aber nicht zur völligen Missachtung der Rechte des Antragstellers. Durch das Aufgreifen rassistisch einzuordnender Vorurteile und einer religiösen Verunglimpfung sowie angesichts der sexuellen Bezüge des Gedichts überschritten die fraglichen Zeilen das vom Antragsteller hinzunehmende Maß.“

Und dies betrifft den überwiegenden Teil des Gedichts. Lediglich sechs Zeilen des Vortrags, wie z.B. „Sackdoof, feige und verklemmst, ist Erdogan, der Präsident“ werden für rechtlich haltbar befunden, wobei diese eher weniger im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Wie geht es weiter?

Nach der heutigen Entscheidung ist es Jan Böhmermann untersagt, die betreffenden Textzeilen des Gedichts abermals öffentlich wiederzugeben. Und zwar gleich, ob in einer TV- oder Radio-Sendung oder z.B. auf seiner privaten Facebook-Seite. Denn in der Praxis wird regelmäßig für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine solche einstweilige Verfügung ein Zwangsgeld in Höhe von bis zu 250.000 Euro, andernfalls eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angedroht. Verstößt der unterliegende Antragsgegner gegen die einstweilige Verfügung, indem er die ihm versagte Äußerung wiedergibt oder verbreitet, muss er ab sofort damit rechnen, auf die Zahlung eines solchen Ordnungsgeldes in Anspruch genommen zu werden. Eine solche Regelung soll auch in dem Beschluss des LG Hamburgs enthalten sein.

Ist der juristische Kampf nun bereits in der ersten Runde entschieden? Wahrscheinlich nicht, wenn man den Worten von Böhmermanns Anwalt Christian Schertz Glauben schenken mag. Dieser kritisierte bereits öffentlich die Herangehensweise des Gerichts, einzelne Sätze des „Werks“ als solche und nicht das Gedicht als Einheit sowie im Kontext der Sendung zu betrachten. Diese Argumentation dürfte angesichts des überwiegenden Teils der von der Kammer für unzulässig erachteten Textpassagen wenig erfolgsversprechend sein. Auch zeigt gerade die vom Gericht vorgenommene Interessenabwägung unter Berücksichtigung jedes einzelnen Satzes mit aller Deutlichkeit, wie umfassend sich das Gericht mit den Rechten beider Seiten auseinandergesetzt haben muss. Von einer übereilten, fehlerhaften Bewertung des streitgegenständlichen Vortrags kann wohl keine Rede sein.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Jan Böhmermann kann gegen die Verfügung noch Widerspruch einlegen, woraufhin das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung über die Sache zu entscheiden hat. Es ist aber ungewiss, ob die Kammer dann zu einem anderen Ergebnis gelangen wird. Dass sich dort der türkische Präsident jedoch selbst blicken lässt, ist äußerst unwahrscheinlich.

Aber auch im strafrechtlichen Sinne droht Jan Böhmermann noch weiteres Ungemach. So sind über hundert Strafanzeigen gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen. Diese ermittelt unter anderem wegen den Straftatbestand nach § 103 Strafgesetzbuch (StGB) wegen der etwaigen Beleidigung des türkischen Staatsoberhauptes. Die Ermächtigung zur strafrechtlichen Ermittlung hatte die Bundesregierung der zuständigen Staatsanwaltschaft trotz großer Kritik erteilt. Gleichwohl wird sogar vom Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) daran gedacht, die auch als „Majestätsbeleidigungs-Paragraphen“ bezeichnete Vorschrift des § 103 StGB spätestens zum 1. Januar 2018 aus dem Gesetz zu streichen. Doch wäre dieser Schritt vielleicht nicht der richtige, wie manch Strafrechtler meint. Es bleibt aber erst einmal abzuwarten, ob es überhaupt zu einer Anklage kommt.

Bildquelle: ZDF / zdf.de

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Störerhaftung und freies W-LAN: Was sagt der BGH, was plant die Bundesregierung?

In den letzten Tagen überschlugen sich fast schon die Nachrichten zum Filesharing und der Störerhaftung. So war in verschiedenen Medien zu lesen, dass die Bundesregierung die Abschaffung der Störerhaftung plane. Auch hieß es, der Bundesgerichtshof (BGH) habe vor wenigen Tagen die Haftung des Anschlussinhabers in einer Entscheidung „entschärft“. Was heißt das nun konkret?

Die Störerhaftung ist eine Besonderheit in der deutschen Rechtsdogmatik, wonach der Anschlussinhaber bzw. der W-LAN Betreiber grundsätzlich für Rechtsverstöße durch Dritte zur Haftung herangezogen werden kann. In der Regel geht es um Ansprüche auf Unterlassung der Wiederholung und somit der abermaligen Rechtsverletzung in der konkreten Sache. (Was ist die Störerhaftung?)

Die Inhaber der Urheber- und Nutzungsrechte (an Filmen, Musik usw.) lassen daher seit Jahren mittels bestimmter Tools in den einschlägigen Tauschbörsen und Netzwerken die IP-Adresse der handelnden „Filesharer“ herausfinden und wenden sich dann, nach einem gewissen juristischen Prozedere durch eine beauftragte Kanzlei, an den Anschlussinhaber mit einer kostenpflichtigen Abmahnung. Von der unerwarteten Abmahnung geschockt, zahlen viele Anschlussinhaber die von dem Rechtsanwalt beigefügten „Anwaltskosten“, unterschreiben die strafbewehrte Unterlassungserklärung und/ oder einigen sich häufig auf Zahlung der Kosten in einer bestimmten Höhe, die in der Regel zwischen 400 und 800 Euro liegt – je nach Anzahl der streitgegenständlichen Werktitel.

Diese Rechtsdogmatik ist vielen Gewerbetreibenden und auch den Befürwortern von „Freifunk“ schon lange ein Dorn im Auge. Denn sie führt in der Regel zur Haftung des Anschlussinhabers, sofern dieser gegen bestimmte Prüfpflichten und Aufklärungs- bzw. Überwachungspflichten verstößt. Wo genau die Grenzen dieser Pflichten liegen und ob bzw. inwiefern sich der Anschlussinhaber von der Haftung freimachen kann, ist seit Jahren umstritten und von den Gerichten unterschiedlich bewertet worden. So haben sich zwar in den Entscheidungen der Gerichte gewisse Grundgedanken und Argumente durchgesetzt, doch obliegt es immer dem Einzelfall und der Darlegungspflicht des Verantwortlichen. Dieser musste dem Grunde nach bislang immer den Beweis dafür erbringen, warum er oder ein Dritter eben nicht diesen Rechtsverstoß begangen hat / haben kann. Oft fällt dieser Beweis aber schwer, wenn man beispielsweise gar nicht weiß, wann welcher Gast oder Mitbewohner den Internetanschluss nutzte. Noch schwerer ist es bei einer unüberschaubaren Anzahl an Gästen.

Nachdem sich die kritischen Stimmen im Hinblick auf diese Rechtsprechung mehrten, weil auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland und der in anderen Ländern längs üblichen „free WIFI“-Hotspots in Cafés oder an beliebten Touristenplätzen in der Stadt/ Land unter dieser Rechtslage litten und mittlerweile sogar der EuGH-Generalanwalt Szpunar das deutsche Rechtsmodell der Störerhaftung des W-LAN Betreibers (Anschlussinhabers) infrage stellt, scheint nun etwas Bewegung in die Thematik gekommen zu sein.

Wie vor wenigen Tagen zu lesen war, plant die Bundesregierung noch im Herbst dieses Jahres eine Gesetzesänderung „durchzubringen“, wonach die Störerhaftung für den Betreiber eines W-LAN Netzwerks nahezu abgeschafft wird. Ein Referentenentwurf existiert schon seit längerem, aber viel mehr ist noch nicht bekannt.

Die Richter am Bundesgerichtshof ahnten möglicherweise schon diese neue Entwicklung und sprachen sich am vergangenen Donnerstag in einer interessanten Entscheidung für die Rechtsposition des beklagten Anschlussinhabers und folglich gegen dessen Haftung aus. In diesem Urteil (BGH, Urt. v. 12.05.2016, Az.: I ZR 86/15) weichen die Richter erneut die Prüfungspflichten des Anschlussinhabers auf.

Danach und auch nach vorheriger Rechtsprechung haftet der Anschlussinhaber nicht für das Verhalten seiner erwachsenen Kinder oder auch volljährigen Familienangehörigen als Mitglieder der Wohnungsgemeinschaft, wenn es für ihn keine erkennbaren Anhaltspunkte gibt, dass diese den Internetanschluss für das verbotene Filesharing missbrauchen, also Rechtsverstöße durch illegales Herunterladen von Filmen oder Musik begehen. Er müsse erst dann geeignete Maßnahmen der Überwachung und Einschränkung treffen, wenn er auf Grund eines konkreten Anlasses das rechtwidrige Verhalten zu befürchten habe. Eine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht bestünde daher nicht.

“ Als Grund für die Haftung kam vorliegend nur in Betracht, dass die Beklagte ihre Nichte und deren Lebensgefährten nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen belehrt hat. Der Beklagten war eine entsprechende Belehrung ohne konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Internetanschlusses nicht zumutbar. Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.“
(Quelle: BGH, Pressemitteilung vom 12.05.2016)

Eine tiefergehende Erklärung wird wohl erst das Urteil geben, das noch nicht veröffentlicht wurde.

Was heißt das nun für die Zukunft?

Gilt damit die Störerhaftung nun komplett abgeschafft, sodass der Anschlussinhaber oder W-LAN Betreiber nicht mehr für Rechtsverstöße durch Dritte haften muss?

Durch die etwaige Gleichstellung des W-LAN Betreibers mit der Rechtstellung eines Access-Providers (§ 8 TMG) bleibt es entgegen der Auffassung einiger Nachrichtenseiten bei gewissen Prüf- und Handlungspflichten und damit auch eingeschränkt bei der Störerhaftung.

So dürfte zwar für den Anschlussinhaber folgende Regelung nach § 7 Abs. 2 TMG gelten:

§ 7 Abs. 2 TMG

(2) Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen bleiben auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 unberührt. Das Fernmeldegeheimnis nach § 88 des Telekommunikationsgesetzes ist zu wahren.”

Doch trotz dieser Haftungserleichterung  sind dem Access-Provider derzeit auch solche Prüfpflichten auferlegt, die unterhalb der Schwelle zur aktiven Überwachungspflicht liegen. Er kann dann zur Haftung herangezogen werden, wenn der eigentliche „Täter“ bzw. die Beteiligten, die unmittelbar für den Rechtsverstoß verantwortlich sind, nicht erreichbar sind oder ermittelt werden können. Zu denken ist diesbezüglich auch an den Seitenbetreiber, der sich aber in der Regel von der Haftung freisprechen dürfte. Jedenfalls muss auch nach der angesprochenen Gesetzesänderung das W-LAN Netzwerk angemessen gegen den Zugriff von Unberechtigten gesichert sein und bei klar erkennbaren Rechtsverstößen eingeschritten werden.

Es bleibt somit bei bestimmten Verpflichtungen des W-LAN Betreibers. Die Störerhaftung ist also nicht abgeschafft. Auch stellt sich die Frage, ob nicht vielleicht weitere Sonderregelungen auf Druck der Film- und Musikindustrie in die neue Vorschrift einfließen werden. Aber hierfür muss erstmal der finale Gesetzesentwurf abgewartet werden. Solange bleibt es bei Spekulationen. Der bekannte Medienrechtsanwalt Christian Solmecke rät daher auch weiterhin davon ab, das W-LAN ohne rechtliche Absicherung für die Allgemeinheit freizugeben.

Eines ist jedoch jetzt schon klar: Diese Verlagerung der Haftung wird auch zu neuen Risiken führen.

Könnte sich der W-LAN Betreiber zukünftig von seiner Haftung freisprechen und sind ihm keine anlasslosen Belehrungs- und Überwachungspflichten zumutbar, so kann die neue Rechtslage als eine Art „Freifahrtsschein“ für das illegale Filesharing angesehen werden. Frei nach dem Motto: Es muss ja keiner dafür geradestehen. Die Frage sei erlaubt, ob bald wieder die Leitungen zu den Tauschbörsen und illegalen Streaming-Angeboten in den Kinderzimmern oder den Räumen im Studentenwohnheim glühen werden?

Durch die angestrebte Haftungsprivilegierung des Anschlussinhabers entstehen viele technische Gefahren und Risiken. Wenn der W-LAN- bzw. Freifunk-Betreiber oder auch der Serveradmin zukünftig nicht mehr genau „hinsehen“ muss, welche Möglichkeiten und Gefahren ergäben sich daraus? Nicht nur, dass das illegale Filesharing wieder aufblühen dürfte, sondern vielmehr könnten mit sinkenden Anforderungen an die IT-Sicherheit, Protokollierung und Prüfpflichten die ungewollten Sicherheitslücken und Hacking-Attacken weiter zunehmen. Und muss dann nicht doch wieder der Netzwerk-Betreiber oder Anschlussinhaber für solche Schäden haften?

Auf der einen Seite werden ein besseres Datenschutzkonzept und größere Sicherheitsvorkehrungen bei WhatsApp oder in den sozialen Netzwerken gefordert, auf der anderen Seite darf sich folglich keiner mehr beschweren, wenn er beim Surfen im öffentlichen WiFi-Netz oder im Café gehackt und seine Daten geklaut werden. Und wer in der Öffentlichkeit in einem fremden Netzwerk über sein Smartphone oder Laptop auch noch Online-Banking vornimmt, der sollte wissen, was im schlimmsten Falle alles passieren kann.

Riesige finanzielle Einbußen haben die Film- und Musikindustrie ohnehin bereits seit Jahren, die weiter unter dem Filesharing und illegalen Streaming-Angeboten leiden. Und das trotz vieler Anbieter wie Netflix, Amazon Prime oder Watchever, die mit attraktiven Preisen oder guten Angeboten die neuesten Serien und Filme teilweise sogar vor dem Verkaufsstart in die heimischen Wohnzimmer der Kunden für wenige Euros im Monat bringen. Aber wer sich lieber stattdessen eine illegale Kopie in schlechter Qualität oder mittels Videomitschnitt aus dem Kinosaal im Netz besorgt, statt sich für 3 bis 5 Euro den Film in HD für 24 Stunden zu leihen, der begeht nach wie vor eine Straftat. Auch wenn die Kampagnen für die Stärkung der Urheberechte mittlerweile rar geworden sind.

Insgesamt dürfte angesichts von der zu erwartenden Lobby-Arbeit wie auch Einflüssen der EU das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Vielleicht kommt es am Ende auch zu einem „faulen Kompromiss“, der alles andere als Rechtssicherheit bringt. Und auch die Gerichte, allen voran das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der BGH werden ihrerseits dazu beitragen, die Verantwortung für Rechtsverstöße nicht ins Leere laufen zu lassen.

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