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Störerhaftung und freies W-LAN: Was sagt der BGH, was plant die Bundesregierung?

In den letzten Tagen überschlugen sich fast schon die Nachrichten zum Filesharing und der Störerhaftung. So war in verschiedenen Medien zu lesen, dass die Bundesregierung die Abschaffung der Störerhaftung plane. Auch hieß es, der Bundesgerichtshof (BGH) habe vor wenigen Tagen die Haftung des Anschlussinhabers in einer Entscheidung „entschärft“. Was heißt das nun konkret?

Die Störerhaftung ist eine Besonderheit in der deutschen Rechtsdogmatik, wonach der Anschlussinhaber bzw. der W-LAN Betreiber grundsätzlich für Rechtsverstöße durch Dritte zur Haftung herangezogen werden kann. In der Regel geht es um Ansprüche auf Unterlassung der Wiederholung und somit der abermaligen Rechtsverletzung in der konkreten Sache. (Was ist die Störerhaftung?)

Die Inhaber der Urheber- und Nutzungsrechte (an Filmen, Musik usw.) lassen daher seit Jahren mittels bestimmter Tools in den einschlägigen Tauschbörsen und Netzwerken die IP-Adresse der handelnden „Filesharer“ herausfinden und wenden sich dann, nach einem gewissen juristischen Prozedere durch eine beauftragte Kanzlei, an den Anschlussinhaber mit einer kostenpflichtigen Abmahnung. Von der unerwarteten Abmahnung geschockt, zahlen viele Anschlussinhaber die von dem Rechtsanwalt beigefügten „Anwaltskosten“, unterschreiben die strafbewehrte Unterlassungserklärung und/ oder einigen sich häufig auf Zahlung der Kosten in einer bestimmten Höhe, die in der Regel zwischen 400 und 800 Euro liegt – je nach Anzahl der streitgegenständlichen Werktitel.

Diese Rechtsdogmatik ist vielen Gewerbetreibenden und auch den Befürwortern von „Freifunk“ schon lange ein Dorn im Auge. Denn sie führt in der Regel zur Haftung des Anschlussinhabers, sofern dieser gegen bestimmte Prüfpflichten und Aufklärungs- bzw. Überwachungspflichten verstößt. Wo genau die Grenzen dieser Pflichten liegen und ob bzw. inwiefern sich der Anschlussinhaber von der Haftung freimachen kann, ist seit Jahren umstritten und von den Gerichten unterschiedlich bewertet worden. So haben sich zwar in den Entscheidungen der Gerichte gewisse Grundgedanken und Argumente durchgesetzt, doch obliegt es immer dem Einzelfall und der Darlegungspflicht des Verantwortlichen. Dieser musste dem Grunde nach bislang immer den Beweis dafür erbringen, warum er oder ein Dritter eben nicht diesen Rechtsverstoß begangen hat / haben kann. Oft fällt dieser Beweis aber schwer, wenn man beispielsweise gar nicht weiß, wann welcher Gast oder Mitbewohner den Internetanschluss nutzte. Noch schwerer ist es bei einer unüberschaubaren Anzahl an Gästen.

Nachdem sich die kritischen Stimmen im Hinblick auf diese Rechtsprechung mehrten, weil auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland und der in anderen Ländern längs üblichen „free WIFI“-Hotspots in Cafés oder an beliebten Touristenplätzen in der Stadt/ Land unter dieser Rechtslage litten und mittlerweile sogar der EuGH-Generalanwalt Szpunar das deutsche Rechtsmodell der Störerhaftung des W-LAN Betreibers (Anschlussinhabers) infrage stellt, scheint nun etwas Bewegung in die Thematik gekommen zu sein.

Wie vor wenigen Tagen zu lesen war, plant die Bundesregierung noch im Herbst dieses Jahres eine Gesetzesänderung „durchzubringen“, wonach die Störerhaftung für den Betreiber eines W-LAN Netzwerks nahezu abgeschafft wird. Ein Referentenentwurf existiert schon seit längerem, aber viel mehr ist noch nicht bekannt.

Die Richter am Bundesgerichtshof ahnten möglicherweise schon diese neue Entwicklung und sprachen sich am vergangenen Donnerstag in einer interessanten Entscheidung für die Rechtsposition des beklagten Anschlussinhabers und folglich gegen dessen Haftung aus. In diesem Urteil (BGH, Urt. v. 12.05.2016, Az.: I ZR 86/15) weichen die Richter erneut die Prüfungspflichten des Anschlussinhabers auf.

Danach und auch nach vorheriger Rechtsprechung haftet der Anschlussinhaber nicht für das Verhalten seiner erwachsenen Kinder oder auch volljährigen Familienangehörigen als Mitglieder der Wohnungsgemeinschaft, wenn es für ihn keine erkennbaren Anhaltspunkte gibt, dass diese den Internetanschluss für das verbotene Filesharing missbrauchen, also Rechtsverstöße durch illegales Herunterladen von Filmen oder Musik begehen. Er müsse erst dann geeignete Maßnahmen der Überwachung und Einschränkung treffen, wenn er auf Grund eines konkreten Anlasses das rechtwidrige Verhalten zu befürchten habe. Eine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht bestünde daher nicht.

“ Als Grund für die Haftung kam vorliegend nur in Betracht, dass die Beklagte ihre Nichte und deren Lebensgefährten nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen belehrt hat. Der Beklagten war eine entsprechende Belehrung ohne konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Internetanschlusses nicht zumutbar. Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.“
(Quelle: BGH, Pressemitteilung vom 12.05.2016)

Eine tiefergehende Erklärung wird wohl erst das Urteil geben, das noch nicht veröffentlicht wurde.

Was heißt das nun für die Zukunft?

Gilt damit die Störerhaftung nun komplett abgeschafft, sodass der Anschlussinhaber oder W-LAN Betreiber nicht mehr für Rechtsverstöße durch Dritte haften muss?

Durch die etwaige Gleichstellung des W-LAN Betreibers mit der Rechtstellung eines Access-Providers (§ 8 TMG) bleibt es entgegen der Auffassung einiger Nachrichtenseiten bei gewissen Prüf- und Handlungspflichten und damit auch eingeschränkt bei der Störerhaftung.

So dürfte zwar für den Anschlussinhaber folgende Regelung nach § 7 Abs. 2 TMG gelten:

§ 7 Abs. 2 TMG

(2) Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen bleiben auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 unberührt. Das Fernmeldegeheimnis nach § 88 des Telekommunikationsgesetzes ist zu wahren.”

Doch trotz dieser Haftungserleichterung  sind dem Access-Provider derzeit auch solche Prüfpflichten auferlegt, die unterhalb der Schwelle zur aktiven Überwachungspflicht liegen. Er kann dann zur Haftung herangezogen werden, wenn der eigentliche „Täter“ bzw. die Beteiligten, die unmittelbar für den Rechtsverstoß verantwortlich sind, nicht erreichbar sind oder ermittelt werden können. Zu denken ist diesbezüglich auch an den Seitenbetreiber, der sich aber in der Regel von der Haftung freisprechen dürfte. Jedenfalls muss auch nach der angesprochenen Gesetzesänderung das W-LAN Netzwerk angemessen gegen den Zugriff von Unberechtigten gesichert sein und bei klar erkennbaren Rechtsverstößen eingeschritten werden.

Es bleibt somit bei bestimmten Verpflichtungen des W-LAN Betreibers. Die Störerhaftung ist also nicht abgeschafft. Auch stellt sich die Frage, ob nicht vielleicht weitere Sonderregelungen auf Druck der Film- und Musikindustrie in die neue Vorschrift einfließen werden. Aber hierfür muss erstmal der finale Gesetzesentwurf abgewartet werden. Solange bleibt es bei Spekulationen. Der bekannte Medienrechtsanwalt Christian Solmecke rät daher auch weiterhin davon ab, das W-LAN ohne rechtliche Absicherung für die Allgemeinheit freizugeben.

Eines ist jedoch jetzt schon klar: Diese Verlagerung der Haftung wird auch zu neuen Risiken führen.

Könnte sich der W-LAN Betreiber zukünftig von seiner Haftung freisprechen und sind ihm keine anlasslosen Belehrungs- und Überwachungspflichten zumutbar, so kann die neue Rechtslage als eine Art „Freifahrtsschein“ für das illegale Filesharing angesehen werden. Frei nach dem Motto: Es muss ja keiner dafür geradestehen. Die Frage sei erlaubt, ob bald wieder die Leitungen zu den Tauschbörsen und illegalen Streaming-Angeboten in den Kinderzimmern oder den Räumen im Studentenwohnheim glühen werden?

Durch die angestrebte Haftungsprivilegierung des Anschlussinhabers entstehen viele technische Gefahren und Risiken. Wenn der W-LAN- bzw. Freifunk-Betreiber oder auch der Serveradmin zukünftig nicht mehr genau „hinsehen“ muss, welche Möglichkeiten und Gefahren ergäben sich daraus? Nicht nur, dass das illegale Filesharing wieder aufblühen dürfte, sondern vielmehr könnten mit sinkenden Anforderungen an die IT-Sicherheit, Protokollierung und Prüfpflichten die ungewollten Sicherheitslücken und Hacking-Attacken weiter zunehmen. Und muss dann nicht doch wieder der Netzwerk-Betreiber oder Anschlussinhaber für solche Schäden haften?

Auf der einen Seite werden ein besseres Datenschutzkonzept und größere Sicherheitsvorkehrungen bei WhatsApp oder in den sozialen Netzwerken gefordert, auf der anderen Seite darf sich folglich keiner mehr beschweren, wenn er beim Surfen im öffentlichen WiFi-Netz oder im Café gehackt und seine Daten geklaut werden. Und wer in der Öffentlichkeit in einem fremden Netzwerk über sein Smartphone oder Laptop auch noch Online-Banking vornimmt, der sollte wissen, was im schlimmsten Falle alles passieren kann.

Riesige finanzielle Einbußen haben die Film- und Musikindustrie ohnehin bereits seit Jahren, die weiter unter dem Filesharing und illegalen Streaming-Angeboten leiden. Und das trotz vieler Anbieter wie Netflix, Amazon Prime oder Watchever, die mit attraktiven Preisen oder guten Angeboten die neuesten Serien und Filme teilweise sogar vor dem Verkaufsstart in die heimischen Wohnzimmer der Kunden für wenige Euros im Monat bringen. Aber wer sich lieber stattdessen eine illegale Kopie in schlechter Qualität oder mittels Videomitschnitt aus dem Kinosaal im Netz besorgt, statt sich für 3 bis 5 Euro den Film in HD für 24 Stunden zu leihen, der begeht nach wie vor eine Straftat. Auch wenn die Kampagnen für die Stärkung der Urheberechte mittlerweile rar geworden sind.

Insgesamt dürfte angesichts von der zu erwartenden Lobby-Arbeit wie auch Einflüssen der EU das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Vielleicht kommt es am Ende auch zu einem „faulen Kompromiss“, der alles andere als Rechtssicherheit bringt. Und auch die Gerichte, allen voran das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der BGH werden ihrerseits dazu beitragen, die Verantwortung für Rechtsverstöße nicht ins Leere laufen zu lassen.

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EGMR: Zur Haftung des Seitenbetreibers für Hass-Kommentare

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschied vor wenigen Tagen (EGMR, Urteil vom 02.02.2016, Az. 22947/13), dass ungarische Seitenbetreiber nicht für Hass-Kommentare ihrer Nutzer haften sollen. Demnach haben die Gerichte in Ungarn nicht hinreichend die Rechte der Beteiligten miteinander abgewogen und die Portale zu Unrecht verurteilt.

Irgendwie scheint das Thema „Internet und Hass“ als Teil der Meinungsäußerung seit geraumer Zeit ein juristischer Dauerbrenner zu sein, das längst nicht nur in Zeitschriften zum Medienrecht besprochen wird, sondern mittlerweile auch in der Tagespresse angekommen ist. Nicht ohne Grund hatte Bundesjustizminister Heiko Maas vor wenigen Wochen erste Ergebnisse seiner Task Force vorgestellt.

Da trifft es sich gut, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einem hierzu passenden Fall zu befassen hatte (EGMR, Urteil vom 02.02.2016, Az. 22947/13), der für Gesprächsstoff sorgt und von Medienrechtlern diskutiert wird.

Das kennen wir noch von der im vergangenen Jahr ergangenen „Delfi-Entscheidung“ (EGMR, Urteil vom 16.06.2015, Az. 64569/09) zur Haftung eines Forenbetreibers für rechtswidrige Inhalte auf seiner Seite. In dieser Entscheidung erachtete der EGMR den Schadensersatzanspruch gegenüber einem Nachrichten-Portal, betrieben von der der Delfi AS aus Estland, für rechtmäßig, weil der Seitenbetreiber für die anonymen Kommentare auf seiner Seite zu haften habe und diese sogar im konkreten Fall sogar ohne Hinweis von Betroffenen zu löschen seien. Danach seien Hass-Beiträge und Hetze immer gleich direkt zu entfernen und nicht erst auf Beanstandungen hin.

Wurde nun in der aktuellen Entscheidung aus der vergangenen Woche ein auf dem ersten Blick widersprüchliches Resultat erzielt, wie einige Überschriften in den Medien suggerieren?

Schließlich hatte sich der EGMR in diesem Verfahren abermals mit dem Spannungsverhältnis zwischen der Meinungsfreiheit eines Einzelnen und den Rechten eines Unternehmens aus seinem Unternehmerpersönlichkeitsrecht zu befassen, allerdings dieses Mal in einer anderen Konstellation:

Die Beschwerdeführer waren die Selbstregulierungsorganisation der ungarischen Internet Service Provider, Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete (MTE), und das ungarische Nachrichten-Portal index.hu, die jeweils als Plattformbetreiber von einem ungarischen Unternehmen in Haftung genommen worden sind, nachdem zuvor Nutzer der Seite im Jahre 2010 anonym in den Kommentaren die Machenschaften eines Unternehmens verhöhnt hatten. Dabei sind sinngemäß Formulierungen verwendet worden wie:

„Diese beiden Müll Immobilen-Seiten [..] Diese Leute sollen einen Igel scheißen …und ihr ganzes Geld auf die Gräber ihrer Mutter verwenden, bis sie tot umfallen“. (Im englischen Wortlaut der Entscheidung lautet das Zitat: “People like this should go and shit a hedgehog and spend all their money on their mothers’ tombs until they drop dead.”)

Das kritisierte Unternehmen betreibt ein Immobilen-Portal und empfand diese Kommentare als geschäftsschädigend, weswegen es rechtlich gegen beide Betreiber vorging. Und obgleich die Seitenbetreiber die beanstandeten Kommentare zeitnah entfernt hatten, zog sich dieser Rechtsstreit durch alle nationalen Instanzen – und immer standen die Richter auf der Seite des Immobilen-Vermittlers. Bis sich die Beklagten wegen der Verletzung von Art. 10 EMRK an den EGMR wandten und sich der Gerichtshof der Sache annahm.

Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Die Straßburger Richter befanden die streitgegenständlichen Äußerungen zwar für anstößig und vulgär, jedoch nicht für überschritten über die Schwelle der strafbaren Beleidigung. Auch haben die nationalen Gerichte in Ungarn keine ausreichende Interessenabwägung vorgenommen und seien voreilig zum Ergebnis gelangt, dass ein Rechtsverstoß und somit die Rechtswidrigkeit der Kommentare allein schon deshalb bestünden, weil sie den Ruf des Unternehmens gefährdeten. Denn zum einen seien die kritischen Kommentare – noch – rechtmäßig gewesen und zum anderen würde das anerkannte Kontrollsystem des „notice and take down“-Verfahrens außer Acht gelassen, das index.hu sowie MTE verwendeten. Zudem habe das ungarische Nachrichten-Portal seinen Usern durch Nutzungsbedingungen vorgeschrieben, dass vulgäre, aggressive und bedrohende Kommentare verboten seien.

Gleichwohl möchte sich der EGMR so verstanden sehen, dass das Urteil keine grundlegende Bedeutung haben soll, sondern vielmehr nur einen bestimmten Einzelfall abbildet. Denn die Interessenabwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Einzelnen, die hierzulande in Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) (und Art. 10 Abs. 1 EMRK) verfassungsrechtlich verankert ist, und den Rechten Dritter aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG oder – wie in diesem Fall – dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht obliegt unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände dem jeweiligen Einzelfall.

Der an der Entscheidung mitwirkende Richter Egidijus Kuris geht sogar noch einen Schritt weiter und warnt Content-Provider in einem anschließenden “Sondervotum“ davor, dieses Urteil zukünftig für die eigene Geschäftsmäßigkeit zu missbrauchen (instrumentalisieren) und sich so vor der (Mit-)Haftung zu „schützen“.

„Consequently, this judgment should in no way be employed by Internet providers, in particular those who benefit financially from the dissemination of comments, whatever their contents, to shield themselves from their own liability, alternative or complementary to that of those persons who post degrading comments, for failing to take appropriate measures against these envenoming statements. If it is nevertheless used for that purpose, this judgment could become an instrument for (again!) whitewashing the Internet business model, aimed at profit at any cost.” (EGMR, Urteil vom 02.02.2016, Az. 22947/13, CONCURRING OPINION OF JUDGE KURIS)

In jedem Fall wird aber deutlich, dass die Gerichte im Einzelfall den Konflikt der Rechtsgüter hinreichend umfassend aufzulösen haben und sich aus einer kritischen oder anstößigen Meinungsäußerung noch per se keine Haftungspflicht des verantwortlichen Seitenbetreibers ergibt.

Haftung für rechtswidrige Inhalte: Wie ist die Rechtslage in Deutschland?

Grundsätzlich bestehen Prüfpflichten für einen Seitenbetreiber; jedoch sind daran keine allzu hohen Gradmesser zu stellen. Müsste ein Seitenbetreiber jeden Kommentar, Foren-Beitrag und jedes Foto vor der Veröffentlichung erst auf die Rechtmäßigkeit prüfen, bestünden die Gefahren einer „quasi-Zensur“ (zumindest deren Anschein) und der gravierenden Einschränkung eines Portals, das von Aktivitäten der Nutzer im Web 2.0 Zeitalter (user generated content) elementar abhängig ist. Aber derartige unangemessenen Anforderungen kosten Geld, hemmen die Aktivität der Mitglieder/User und können folglich die Geschäftsmäßigkeit des Angebots massiv gefährden.

Ausreichend soll es vielmehr nach ständiger Rechtsprechung sein, dass der Seitenbetreiber verschiedene – und den meisten wohl bekannte – technische Vorkehrungen trifft, wie die „Melde-Funktion“ und Moderation von Foren und Kommentaren, aber auch Word-Filter und Spam-Schutz. Dies setzt allerdings voraus, dass der fragliche Inhalt fremd ist, also einem Dritten zuzurechnen ist und sich der Seitenbetreiber diesen nicht zu eigen gemacht hat. Es muss daher für einen durchschnittlichen Laien erkennbar sein, dass es sich bei dem Kommentar, Beitrag oder sonstigen Inhalt um solchen des Nutzers handelt. Die Rechtsprechung hat für diese Abgrenzung verschiedene Kriterien entwickelt.

Demzufolge kann sich der Seitenbetreiber fremde Inhalte zu eigen machen, wenn er sie wirtschaftlich verwertet, optisch derart in seine Seite integriert, dass sie wie eigene Inhalte wirken oder beispielsweise eine Auswahl bzw. Bearbeitung der Inhalte vornimmt und somit Einfluss auf dessen Gestaltung ausübt. Diskutiert und bejaht wurde dies vom Bundesgerichtshof (BGH) beispielsweise bei einem Online-Kochbuch, wenn nämlich der Seitenbetreiber Rezepte und Anleitungen der Mitglieder auf Vollständigkeit und Richtigkeit prüft und freischaltet bzw. sich sogar Lizenzen (z.B. für den Druck als Print-Version) daran einräumen lässt (BGH, Urteil vom 12. November 2009, Az. I ZR 166/07 – marions-kochbuch).

In der Regel sind aber heutzutage alle gängigen Internet-Portale und sozialen Netzwerke derart optisch und technisch gestaltet, dass der Autor des jeweiligen Inhalts mit Namen und/oder Profilfoto eindeutig als solcher erkennbar angezeigt wird und der Seitenbetreiber hierauf keinen Einfluss auszuüben vorgibt. Zudem tragen auffällige Hinweise („Bitte erstellt keine rechtwidrigen Inhalte“ usw.) und Nutzungsbedingungen einen Teil hierzu bei (So z.B. bei Facebook Fanseiten).

Bei der richtigen Verwendung dieser etablierten Funktionen kommt der Anbieter seinen gesetzlich geforderten Prüfpflichten nach, wenn sich Mitglieder oder Betroffene über anstößige Inhalte bei dem Plattformbetreiber beschweren und er daraufhin zeitnah innerhalb von wenigen Tagen – je nach Größe des Angebots – reagiert sowie gegebenenfalls rechtswidrige oder anstößige Inhalte löscht. Die auch als „notice and take down“-Verfahren bezeichnete Haftungsprivilegierung ist längst Praxis und z.B. in § 10 TMG gesetzlich normiert.

Der BGH bestätigte letztes Jahr in seiner Entscheidung – über die Haftung für die Bewertung auf einem Hotelbewertungsportal – diese Haftungsprivilegierung des Seitenbetreibers:

„Der Annahme einer allgemeinen Prüfungspflicht von Diensteanbietern im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG für die von Nutzern auf ihre Server eingestellten fremden Daten steht jedoch § 7 Abs. 2 Satz 1 TMG entgegen. Danach sind Diensteanbieter nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten. Nach dieser Vorschrift, die auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr beruht, sind Überwachungspflichten allgemeiner Art ausgeschlossen. Danach ist es dem Betreiber eines Bewertungsportals grundsätzlich nicht zuzumuten, jeden Beitrag vor der Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Nicht ausgeschlossen sind hingegen Überwachungspflichten in spezifischen Fällen. Diensteanbieter, die von Nutzern bereitgestellte Informationen speichern, müssen außerdem die nach vernünftigem Ermessen von ihnen zu erwartende und in innerstaatlichen Rechtsvorschriften niedergelegte Sorgfaltspflicht anwenden, um bestimmte Arten rechtswidriger Tätigkeiten aufzudecken und zu verhindern (Erwägungsgrund 48 der Richtlinie 2000/31/EG; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2010 I ZR 155/09, GRUR 2011, 617 Rn. 40 = WRP 2011, 881 Sedo). Diese vom Senat aufgestellten Grundsätze stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 12. Juli 2011 C324/09, Slg. 2011, I6011 = GRUR 2011, 1025 Rn. 109 ff., 139, 144 = WRP 2011, 1129 L’Oréal/eBay; Urteil vom 24. November 2011 C-70/10, Slg. 2011, I-11959 = GRUR 2012, 265 Rn. 36 ff. Scarlet/SABAM; Urteil vom 16. Februar 2012 C360/10, GRUR 2012, 382 Rn. 34 ff. = WRP 2012, 429 SABAM/Netlog; vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2011 I ZR 57/09, BGHZ 191, 19 Rn. 22 ff. Stiftparfüm).“ (BGH, Urteil vom 19.03.2015, Az. I ZR 94/13 – Hotelbewertungsportal)

Es ist nicht ersichtlich, warum sich an dieser Linie etwas ändern sollte. Die gewählte Konstruktion der Haftungsprivilegierung von Seitenbetreibern im Internet und das „notice and take down“- Verfahren werden im jeweiligen Einzelfall der Interessenabwägung einem ausgewogenen und angemessenen System gerecht.

Was bedeutet das nun für Webmaster und Seitenbetreiber?

Können jetzt Webmaster und Betreiber von Foren und Webportalen aufatmen? Die Antwort lautet „jein“ – denn es bleibt alles beim Alten.

Die Verantwortlichen sollten sich weiterhin nicht durch die unterschiedlichen Schlagzeilen wie „Seitenbetreiber haften nicht für Hass-Kommentare“ oder „EGMR spricht News-Portal von Haftung für Nutzerkommentare frei“  irritieren und sich in Sicherheit oder Unsicherheit wiegen lassen. Auch zukünftig sollten zeitgemäße und praxistaugliche „Melde-Systeme“, Kontroll-Funktionen, Foren-Moderation nebst entsprechender AGB/Nutzungsbedingungen einen notwendigen Bestandteil des Internetangebots sein und Mitarbeiter/Verantwortliche innerhalb von 1-3 Tagen auf Beanstandungen reagieren, um den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen. Dann haben Sie grundsätzlich erst einmal nichts zu befürchten.

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